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...und noch ein Küsschen!

...und noch ein Küsschen!

Titel: ...und noch ein Küsschen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roald Dahl
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Teppich lief. Und der Junge stand ausgerechnet so, dass er ihn an der breitesten Stelle überqueren musste. Sollte er springen? Das war zu gefährlich, denn er wusste ja nicht, ob er genau auf dem schmalen gelben Streifen dort drüben landen würde. Er holte tief Luft, hob einen Fuß und schob ihn weit, weit vor, senkte ihn tiefer und tiefer, bis endlich die Spitze der Sandale sicher auf gelbem Boden ruhte. Nun beugte er sich nach vorn, verlagerte sein Gewicht auf den vorgestellten Fuß und versuchtedann, den anderen nachzuholen. Er strengte sich mächtig an, zog und zerrte, aber die Beine waren zu weit auseinander. Es half nichts, er musste zurück. Auch das schaffte er nicht. Er stand breitbeinig da und vermochte sich nicht zu rühren. Unter sich sah er den tiefen, gewundenen schwarzen Strom. Teile davon regten sich jetzt, rollten sich auf, glitten hin und her und glitzerten in einem widerlich öligen Glanz. Er schwankte, fuchtelte wild mit den Armen, um nicht zu fallen, aber das machte es nur noch schlimmer. Er kippte nach rechts, zunächst langsam, dann immer schneller. Im letzten Moment streckte er instinktiv die Hand aus, um den Sturz zu dämpfen. Das, was er gleich darauf sah, ließ ihn vor Entsetzen gellend aufschreien: Seine bloße Hand stieß mitten hinein in eine große, glänzende Masse von Schwarz und verschwand darin.
    Draußen im Sonnenschein, weit hinter dem Haus, suchte die Mutter ihren Sohn.

Hals
    Als vor etwa acht Jahren der alte Sir William Turton starb und sein Sohn Basil nicht nur den Titel, sondern auch die
Turton Press
erbte, wurden, wie ich mich erinnere, in der Fleet Street zahlreiche Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern würde, bis eine hübsche junge Frau den kleinen Burschen überzeugt hätte, dass sie sich um ihn kümmern müsse. Um ihn und sein Geld, heißt das.
    Basil – nunmehr Sir Basil Turton – mochte damals vierzig Jahre zählen. Er war Junggeselle, ein Mann von sanfter, schlichter Wesensart, der sich bis dahin nur für seine Sammlung moderner Gemälde und Skulpturen interessiert hatte. Nie war sein Seelenfrieden durch eine Frau gestört worden; kein Skandal und kein Gerede hatten je seinen Namen befleckt. Nun aber, da er die Herrschaft über ein großes Zeitungsimperium angetreten hatte, musste er das stille väterliche Landhaus verlassen und nach London übersiedeln.
    Natürlich scharten sich die Geier sofort um ihn, und nicht nur die Fleet Street, sondern fast die ganze Stadt sah gespannt zu, wie sie ihm nachstellten. Sie gingen dabei langsam vor, sehr langsam und sehr bedächtig, sodass ich statt von Geiern vielleicht lieber von einem Haufen gelenkiger Krebse sprechen sollte, die unter Wasser nach einem Stück Pferdefleisch greifen.
    Aber zur allgemeinen Überraschung wusste der kleine Kerl allen Eroberungsversuchen geschickt zu entgehen, und so zog sich die Jagd über den Frühling und Frühsommer jenes Jahres hin. Obgleich Sir Basil nicht zu meinen Bekannten gehörte, sodass für mich kein Anlass bestand, ihm freundschaftliche Gefühle entgegenzubringen, ergriffich unwillkürlich für ihn, meinen Geschlechtsgenossen, Partei und triumphierte jedes Mal, wenn es ihm gelang, mit heiler Haut davonzukommen.
    Dann, etwa Anfang August – anscheinend auf irgendein weibliches Geheimsignal hin   –, schlossen die Mädchen untereinander eine Art Waffenstillstand und fuhren in die Ferien, um auszuruhen, neue Kräfte zu sammeln und Pläne für den Abschuss im Winter zu schmieden. Das war ein Fehler, denn genau in diesem Augenblick kam vom Kontinent ein bezauberndes Geschöpf herüber: Natalia Soundso, von der noch nie jemand gehört hatte, tauchte in London auf, nahm Sir Basil fest an der Hand und schleifte ihn, der sich gewissermaßen in Trance befand, zum Standesamt in der Caxton Hall, bevor irgendjemand, am wenigsten der Bräutigam selbst, begriffen hatte, was eigentlich geschah.
    Sie können sich vorstellen, dass die Londoner Damen entrüstet waren, und natürlich zögerten sie keinen Augenblick, allerlei saftigen Klatsch über die frischgebackene Lady Turton («diese unverschämte Wilddiebin») zu verbreiten. Aber damit brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Wir können getrost die nächsten sechs Jahre überspringen und uns einer Begebenheit zuwenden, die sich vor genau einer Woche ereignete, als ich das Vergnügen hatte, Ihrer Ladyschaft zum ersten Mal zu begegnen. Wie Sie sich denken können, leitet sie mittlerweile nicht nur die gesamte
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, sondern hat sich

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