...und noch ein Küsschen!
Jod.»
Aus seiner schwarzen Tasche, die etwa zehn Meter entfernt im Gras lag, holte er eine Flasche Jod und etwas Watte. Dann trat er an den Baumstamm heran, entkorkte die Flasche, goss etwas Jod auf die Watte, bückte sich und betupfte die Schnittfläche. Er behielt dabei Klausner im Auge, der mit der Axt in der Hand unbeweglich dastand und ihn beobachtete.
«Passen Sie auf, dass Sie es richtig hineinbekommen.»
«Ja», sagte der Arzt.
«Und jetzt die andere Wunde – die obere.»
Der Arzt gehorchte.
«So, ich bin fertig.» Dr. Scott richtete sich auf und begutachtete mit ernster Miene seine Arbeit. «Das dürfte völlig genügen.»
Klausner untersuchte gewissenhaft die beiden Wunden.
«Ja», meinte er und nickte bedächtig mit dem großen Kopf. «Ja, das dürfte genügen.» Er ging einen Schritt zurück. «Kommen Sie morgen wieder, um es sich anzusehen?»
«Natürlich», versicherte der Arzt. «Selbstverständlich.»
«Und behandeln Sie die Wunden wieder mit Jod?»
«Wenn es nötig ist, ja.»
«Danke, Doktor.» Klausner nickte noch einmal mitdem Kopf. Er ließ die Axt fallen, und plötzlich lächelte er ein wildes, erregtes Lächeln. Der Arzt trat schnell auf ihn zu, nahm ihn sanft beim Arm und sagte: «Kommen Sie jetzt.» Und dann gingen sie fort, die beiden, gingen schweigend und ziemlich eilig zurück – durch den Park, über die Straße, ins Haus.
Nunc Dimittis
Es ist fast Mitternacht, und wenn ich jetzt nicht darangehe, diese Geschichte niederzuschreiben, werde ich es nie tun. Stunden und Stunden habe ich hier gesessen und versucht, einen Anfang zu finden; aber je länger ich über die ganze Sache nachdachte, desto größer wurden mein Entsetzen, meine Scham, meine Verzweiflung.
Ich habe mir vorgenommen – und ich glaube, das war eine gute Idee –, in Form einer schriftlichen Beichte eine selbstkritische Betrachtung anzustellen, um auf diese Weise einen Grund oder zumindest eine Rechtfertigung für mein empörendes Verhalten gegenüber Janet de Pelagia zu finden. Ich möchte mich dabei an einen imaginären mitfühlenden Leser wenden, gewissermaßen an ein mythisches Du, an einen gütigen und verständnisvollen Menschen, dem ich rückhaltlos jede Einzelheit dieser unglückseligen Episode offenbaren kann. Ich hoffe nur, dass es mir trotz meiner Erregung gelingt, einen wahrheitsgetreuen Bericht zu geben.
Wenn ich ganz ehrlich sein soll, muss ich gestehen, dass es nicht sosehr das Gefühl meiner Schuld ist, das mich bedrückt, auch nicht die Kränkung, die ich der armen Janet zugefügt habe, sondern vielmehr das Bewusstsein, dass ich mich wie ein ausgemachter Idiot benommen habe und dass meine Freunde – sofern ich sie noch so nennen darf –, alle diese warmherzigen und liebenswerten Menschen, die so oft in mein Haus kamen, mich jetzt für einen boshaften, rachsüchtigen alten Mann halten müssen. Ja, das schmerzt mich tief. Wenn ich Ihnen sage, dass meine Freunde der Inhalt meines Lebens waren, dass sie mir alles, einfach alles bedeuteten,so werden Sie vielleicht anfangen, mich zu verstehen.
Tatsächlich? Ich bezweifle es, denn Sie wissen ja nichts von mir. Gestatten Sie also, dass ich einen Augenblick abschweife und Ihnen in groben Zügen schildere, was für ein Mensch ich bin.
Nun … lassen Sie mich nachdenken. Bei näherer Überlegung scheint mir, dass ich einen Typ verkörpere, einen ganz bestimmten, wenn auch recht seltenen Typ – den des reichen, müßiggängerischen, kultivierten Mannes in mittleren Jahren, der viele Freunde hat und von ihnen wegen seines Charmes, seines Geldes, seiner Bildung, seiner Freigebigkeit und – wie ich aufrichtig hoffe – auch um seiner selbst willen
bewundert
wird (ich wähle das Wort mit Bedacht). Man findet diesen Typ nur in den großen Weltstädten – London, Paris, New York –, daran ist nicht zu zweifeln. Das Geld, das er besitzt, hat er von seinem Vater geerbt, den er insgeheim ein wenig verachtet. Daraus kann man ihm keinen Vorwurf machen, denn es liegt in seiner Natur, auf Menschen herabzusehen, die so ungebildet sind, dass sie nicht wissen, wodurch sich Rockingham- und Spode-Porzellan, Waterford- und Venezianisches Glas, Sheraton und Chippendale, Monet und Manet oder gar Pommard und Montrachet voneinander unterscheiden.
Er ist also ein Kenner und zeichnet sich vor allem durch einen exquisiten Geschmack aus. Seine Constables, Boningtons, Lautrecs, Redons, Veuillards und Matthew Smiths brauchen einen Vergleich mit den
Weitere Kostenlose Bücher