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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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auf und ging zur Tür, in seiner normalen Art. Dort drehte er sich um, musterte Frickes Zeitung, hinter der sich ein vielleicht böser Kopf verbarg, ließ die Schultern hängen und kam zurück.
    Hoff machte große Augen. »Toll. Das magenkranke Nilpferd nehm ich zurück. Fußkranker Tapir paßt besser. Und was soll das alles?«
    Matzbach setzte sich wieder. »Es gebricht dir«, sagte er verdrossen, »am notwendigen psychologischen Feingefühl. Wenn man jemanden lange kennt, übersieht man viele Dinge. Es gibt Leute, die können sich einen Bart wachsen lassen oder einen alten Bart abnehmen, und keiner ihrer langjährigen Freunde wird es merken. Fremde dagegen werden zuallererst so oberflächliche Dinge wie Bart oder Gang sehen oder, wenigstens, unbewußt wahrnehmen. Ich will lediglich dafür sorgen, daß der liebe Junge neben mir im Zug sitzt und mich morgen, wenn ich ihm unbemalt gegenübertrete, nicht erkennt. Er wird dann vielleicht denken oder sagen: Der kommt mir irgendwie bekannt vor. Aber das ist auch alles.«
    Henry leerte seine Kaffeetasse. »So so. Du kommst mir irgendwie unbekannt vor.«
    Baltasar seufzte und zog seine Brieftasche. »Hier, damit du dich an mich erinnerst. Und für alle Fälle. Ich weiß nicht genau, wieviel noch im Tank ist.«
    Er schob Hoff mehrere Hunderter hin und stand auf. »Ab sofort«, sagte er leise, »kennen wir uns nicht mehr. Du bleibst jetzt hier sitzen und bezahlst die Rechnung, sobald Monsieur und ich gegangen sind. Dann gehst du vorsichtig zum Wagen. Und fahr ihn nicht zu Schrott, wie du das mit deinen immer tust.«
    »Aye, aye, Sir.«
    Fricke warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, dann auf seine Armbanduhr und faltete die Zeitung zusammen. Matzbach ging langsam, wie unter einer Last, an ihm vorbei zum Ausgang. Hoff blickte verdutzt hinterher und winkte dann der Kellnerin. »Geben Sie mir bitte die Rechnung.« Er nannte die Zimmernummern. Fricke stand nun auf und nahm seinen Rucksack zur Hand. Hoff stützte den Kopf auf die Hände und verbarg sich fast völlig, konnte aber sehen, daß Fricke bleich und gequält in den Morgen blickte.
    Die Rechnung kam schnell; kaum zwei Minuten nachdem Fricke das Hotel verlassen hatte, machte auch Henry Hoff sich auf den Weg. Es war ein kalter, klarer Oktobermorgen. Als er um die Ecke des Hotels bog, um zum Wagen zu gehen, sah er nicht allzuweit vor sich Matzbach und Fricke. Baltasar ging schwer und mühsam, mit hängenden Schultern, vermutlich auch noch leise ächzend. Fricke überholte ihn, blickte ihn von der Seite an und blieb stehen. Hoff ging vorsichtig auf die andere Straßenseite. Er sah so etwas wie Mitleid in Frickes Gesicht. Da ringsum alles still war, hörte er sogar die Unterhaltung der beiden.
    Fricke: »Kann ich Ihnen helfen? Wollen Sie auch zum Bahnhof?«
    Matzbach antwortete ächzend und pfeifend, mit gequälter, hoher Stimme: »Sie sind sehr freundlich, mein Herr, aber das kann ich ja wohl nicht von Ihnen verlangen.«
    Fricke: »Ach, kommen Sie, geben Sie mir Ihre Tasche.«
    Er nahm Baltasars leichte Tasche, nahm den Dicken am Arm und steuerte mit ihm die Straße hinunter in Richtung Bahnhof. Hoff schloß den Wagen auf, warf sein Gepäck hinein und setzte sich hinter das Steuer.
    »Man hält es«, sagte er halblaut zum Lenkrad, »nicht für möglich.« Er folgte den beiden mit den Augen, bis sie langsam hinter der Straßenbiegung verschwanden. Sie würden gleich eine kleine Brücke überqueren und sich dann nach rechts zum Bahnhof begeben.
    Kopfschüttelnd ließ er den Motor an und betrachtete noch einmal die Karte, um festzustellen, wo der nächste Bahnhof war. Dann gab er Gas.
    Kurz vor neun Uhr verließ Matzbach den Bahnhof in Fulda und steuerte hinkend und gebrechlich auf den Wagen zu. Hoff erkannte ihn erst, als er sich bis auf zehn Meter genähert hatte.
    Baltasar öffnete die Fahrertür und knurrte: »Rutsch rüber.«
    Hoff gehorchte. »Großmutter, was hast du für platte Füße?«
    »Damit ich dich besser in den Hintern treten kann.« Matzbach ließ sich in den Sitz sinken und seufzte. Dann zündete er sich eine Zigarre an und wischte mit dem Taschentuch die Spuren der Maske aus dem Gesicht.
    »Ah bah«, sagte er. »Auftritt erfolgreich beendet. Fricke ist ein merkwürdiger Zeitgenosse. – Wollen wir unser zweites Frühstück noch hier oder an der nächsten Autobahnraststätte zu uns nehmen?«
    Hoff zuckte mit den Schultern. »Mir egal. Im Moment bin ich noch voll der guten Marmelade. Pfui.«
    Baltasar startete,

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