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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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fädelte sich in den reißenden Fuldaer Verkehr ein und stieß gewaltige Rauchwolken aus.
    Hoff sagte mitfühlend: »Auch Nichtraucherabteil?«
    »Dieser ungeheuerliche Schienenbus ist durchgehend für Raucher. Aber wie sieht ein hinfälliger Greis mit Zigarre aus? Unglaubwürdig. Also hab ich's mir verkniffen.«
    »Nun komm schon zur Sache.«
    »Tja, was soll ich erzählen? Du wirst es mir ohnehin nicht glauben.«
    »Versuchs wenigstens.«
    »Hast du bemerkt, wie Fricke heute aussah? So, als hätte er die Nacht in Karl Mays Geistermühle verbracht. Bleich und gequält. Aber sehr hilfsbereit. Hat mich am Arm genommen und meine Tasche zum Bahnhof getragen. Dann hat er mir eine Fahrkarte besorgt, damit ich nicht vor dem Schalter stehen mußte.«
    Hoff grinste. »Armes zerbrechliches Kerlchen. Wußtest du da schon, wohin er fährt?«
    »Natürlich. Auf dem Weg zum Bahnhof haben wir leichte Konversation gemacht.« Er ahmte seine hohe Greisenstimme nach: »Zu liebenswürdig, mein Herr. Man trifft heute so wenige hilfsbereite Leute, es ist manchmal nicht einfach. Fahren Sie auch nach Fulda?« Er kicherte. »Na, dann hat er mir noch in den Zug geholfen. Ein Wahnsinnszug. Offenbar hauptsächlich für Pendler. Jedenfalls war alles ganz schön voll. Wir haben Sitzplätze gekriegt, natürlich, aber glücklicherweise nicht nebeneinander. Ich konnte ihn die ganze Zeit beobachten, unauffällig.«
    Matzbach machte eine Pause und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. »Rat mal, was er während der Fahrt gemacht hat.«
    Hoff hob die Brauen. »Was weiß ich? Gesungen, gelesen, aus dem Fenster gestarrt, in der Nase gebohrt?«
    »Nix dergleichen. Er hat zuerst leise vor sich hin gesummt, dann hat er einen Rosenkranz aus der Tasche gezogen und bis Fulda gebetet. Ein paarmal schoß ihm das Wasser in die Augen. Er hat nicht direkt geheult, aber heftig geblinzelt und gewischt.«
    Hoff riß die Augen auf. »Na so was. Und dann?«
    »Dann ist er ausgestiegen, hat mir noch aus dem Zug geholfen und sich verabschiedet. Er wartet jetzt auf einem anderen Bahnsteig auf den Zug nach Frankfurt und fährt von dort aus wieder nach Bonn. Das heißt« – er blickte auf die Uhr –, »inzwischen müßte er wohl schon unterwegs sein.«
    Hoff schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf. »Wandert durchs Moor, schläft im Hotel, sieht morgens aus wie der ausgekotzte Tod, ist hilfsbereit, betet Rosenkranz und weint leise vor sich hin. Kriegst du das auf die Reihe?«
    Matzbach brabbelte etwas, das sich wie »mitnichten« anhörte, schwieg dann aber eine ganze Weile, die Zigarre zwischen den Zähnen, die Hände am Lenkrad.
    Hoff blickte ihn von der Seite an. »Hat man dir schon mal gesagt, daß du Ähnlichkeit mit Churchill hast? Ich meine, ich traue dir nicht zu, einen Weltkrieg dadurch zu gewinnen, daß du Champagner schlürfend in der Badewanne sitzt und vier Sekretärinnen gleichzeitig beschäftigst, aber immerhin: die Zigarre und die Häßlichkeit des Gesamtbildes ...«
    Mit einem kurzen, der leiblichen Nachfüllung gewidmeten Zwischenaufenthalt auf einer der anmutigen Autobahnraststätten der Republik durchfuhren sie in den folgenden Stunden einen Teil derselben und erreichten am frühen Nachmittag wieder deren Metropole.
    In Hoffs Wohnung fanden sie einen Zettel vor, auf dem die zusätzliche freiwillige Hilfskraft notiert hatte: »Keine Lust mehr. Bin weg. Tschüs.«
    Hoff braute Kaffee, während Matzbach sich wie ein Geier auf das Telefon stürzte. Zur Abwechslung erwischte er Moritz sofort. »Hör zu«, sagte er. »Ich geb dir jetzt ein paar Namen durch. Sieh mal, ob du was in euren Archiven findest.«
    Moritz protestierte. »Ich hab genug zu tun, auch ohne deinen Quatsch. Worum geht's denn?«
    »Immer noch um den netten kleinen Doppelmord.«
    »Ah«, sagte Moritz vergnügt, »ich dachte, man hätte dir die Hände schon abgehackt, zumindest aber gebunden.«
    »Wieso dieses?«
    Moritz gluckste. »Ungünstiger Murxbär, weißt du es denn noch nicht? Heute früh erreichte ein Zettel mit einer Zeugenaussage, einem Alibi für Andreas, die Kanzlei Korff. Der Herr Anwalt hat sich sofort zu Ziegler begeben. Der versucht seit Stunden wutschnaubend, dich zu erwischen.«
    Matzbach hüstelte. »Das tut mir leid, aber ich bin im Moment nicht erreichbar. Ich werde mich auch hüten, in die Nähe meines Telefons zu gehen.«
    »Wo steckst du denn? Ziegler hat's schon bei Ariane versucht.«
    »Wo ich stecke, werde ich dir gerade sagen, du Plapperschlange.

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