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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sehr große Geister sich in kleinen Zeiten langweilen. Deshalb gönn mir doch dieses unschuldige Vergnügen der Gaunerjagd!«
    Henry hustete. »Wahrlich, du bist schon zu bedauern. Minderwertigkeitskomplexe, gepaart mit defektem Denkapparat, ein schweres Los. Ich werde dir getreu zur Seite stehen, und erst wenn der behandelnde Arzt, ganz in Weiß, die Tür hinter dir schließt, werde ich dich verlassen.«
    »So ist es recht, mein Freund. Ich wußte, ich kann auf dich bauen. – Was nun unseren Kandidaten angeht ...« Er machte eine Pause, blies asymmetrische Rauchfiguren und schaute aus dem Fenster. »Also, es will mir nicht so recht in den Kopf, was ein Ministerialrat im Innenministerium so plötzlich, zwei Tage vielleicht, im Herbst in der Rhön treibt, und dann auch noch zu Fuß.«
    Hoff sagte höhnisch: »Kann ich dir erklären. Er wandert durchs Moor.«
    Matzbach dankte mit einer gekonnten Verbeugung. »Abgesehen davon. Er nimmt sich zweieinhalb Tage frei, nicht etwa zwei oder drei, sondern zweieinhalb; dann erledigt er irgendwas, und ich wüßte gern, was er gestern noch so Dringendes zu erledigen hatte. Morgens klettert er in die Eisenbahn, läßt sich nach Fulda verschaffen, steigt dort in ein Taxi, fährt mit diesem runde vierzig Kilometer – bestimmt zu einem satten Preis – und verschwindet mit leichtem Gepäck im Moor. Ich schätze, er wird innerhalb der nächsten beiden Stunden hier auftauchen, irgendwo, hier oder anderswo, ein Nachtlager mieten, morgen früh ab nach Fulda, oder vielleicht schon heute abend, und dann zurück nach Bonn. Was soll das alles?«
    Hoff zuckte mit den Schultern. »Ein kleiner Zwischenurlaub.«
    »Zwischenurlaub! Firlefanz. Hätte er mit einem freien Tag, letzten Freitag zum Beispiel, besser haben können. Hätte er Donnerstag abend nach Fulda fahren können, dort übernachten, Freitag morgen in die Wildnis und jupphei. Nee, nee, nee, das überzeugt mich nicht, da steckt mehr hinter. Bloß was?«
    Hoff betrachtete die Kellnerin. »Vielleicht hat er ein Liebchen im Moor und mit ihr ein Rendezvous. Dann kommt er erst morgen.«
    Matzbach schnaubte. »Bla-bla. Versuch doch mal eine andere Richtung.«
    Hoff grinste. »Welche, o Sokrates?«
    »Denkst du nicht auch, daß ein dem Senator für das Büttelwesen unterstellter Amtmann den Feinden des Reichs ein Mehreres würde sagen können?«
    »Mitnichten, o Matzbacchus. Wenn Fricke überhaupt an wichtige Dinge herankommen könnte – na ja, könnte sein, im Innenministerium, warum nicht? Aber dann hat er bestimmt seine Kontaktleute in Bonn oder Köln oder so, denen er Informationen weitergibt.«
    »Muß nicht unbedingt sein. In letzter Zeit sind ja doch etliche DDR-Agenten hopsgenommen worden. Stell dir vor, Fricke sitzt an einer Stelle, wo er nicht nur Dinge erfährt, die vielleicht unsere Brüder im Osten interessieren, sondern wo er auch noch erfährt, welche der Kontaktleute zur Zeit beschattet werden?«
    Hoff lehnte sich zurück. Nachdenklich sagte er: »Natürlich könntest du recht haben. Jemand aus dem Innenministerium, der nicht nur irgendwas weiß, sondern weiß, welche Agenten in den nächsten Tagen oder Wochen auffliegen werden beziehungsweise welche überhaupt den hiesigen Stellen bekannt sind, wäre natürlich ungeheuer wertvoll. Aber eben weil er so wertvoll wäre, hätte er bestimmt andere Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung als eine Wanderschaft durch Hochmoore in der Rhön. Die Grenze ist hier genauso dicht wie überall, und wie wir wissen, ist er nicht zur Grenze gegangen.«
    Matzbach winkte ab. »Das heißt nichts. Klar, er könnte ganz einfach die DDR-Botschaft in Godesberg anrufen, und wie ich unsere Leute einschätze, würden sie es nicht einmal feststellen. Darauf, auf die generelle Dummheit, kann er sich aber nicht verlassen. Vielleicht ist etwas im Busch, das so wichtig ist, daß es unbedingt schnell und sicher übermittelt werden muß. Also fährt er nach Fulda, steigt dort in ein Taxi, das von einem freien Mitarbeiter Ostberlins gesteuert wird, fährt mit ihm lange genug in der Gegend herum, um auch eine längere Sache loszuwerden, und läuft dann zur Entspannung ein bißchen durchs Moor, und natürlich, um einen plausiblen Grund zu haben. Oder er hat mit einem Kontaktmann einen bestimmten hohlen Baum im südwestlichen Moorabschnitt vereinbart, deponiert dort Mikrofilme und wandert weiter. Oder oder oder. Daß die deutsche Binnengrenze uns so reichlich verrammelt vorkommt, heißt ja noch lange nicht,

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