...und plötzlich war alles ganz anders... (Kriminalromane) (German Edition)
neigte den Kopf leicht zur Seite und wartete bis im vordersten Fenster des Waggons ein Oberleitungsmast vorbei huschte.
Es war ganz einfach. Im Bruchteil einer Sekunde hebelte er den Rest von Maltes Körper aus dem Abteilfenster. Ohne hinzusehen, gab den Beinen einen Schubs und sah zu, wie sein Freund rasend schnell in entgegengesetzter Fahrtrichtung verschwand. Er hatte nicht den Mut hinauszublicken, sonst hätte er gesehen, wie Malte Pieper von den harten Kanten des Mastes buchstäblich in zwei Hälften gerissen wurde. Blut mit Hirnmasse vermischt spritzte an die verdreckte Außenwand des Waggons und lange, weißlich graue Gedärme, die sich in einem der Türgriffe verheddert hatten, flatterten für eine Weile im strengen Fahrtwind. Ganz sicher, Maltes Leiche würde entdeckt werden. Auf mindestens einem Kilometer Länge würde man sie finden. Und es war abzusehen, dass dieser Umstand den Ermittlern ziemlich große Probleme bereiten würde.
Erschöpft schloss Mario Micoliç das Fenster und ließ sich in die kärgliche Polsterung fallen. Von dieser Seite würde ihm keine Gefahr mehr drohen. Allerdings wäre er nicht so ruhig seinem Ziel entgegengefahren, wenn er gesehen hätte, was er angerichtet hatte.
***
Nach etwa zwanzig Minuten machte der Schaffner seinen Rundgang: „Na...? Ihr Freund..., wohl auf der Toilette?“, sagte er vollkommen desinteressiert.
Mario nickte. In seiner Aufregung machte er Anstalten, die Fahrkarte wieder hervorzukramen, aber der Bahnbeamte winkte ab.
„Lass nur“, sagte er und lächelte Mario freundlich an, „die hab ich doch vorhin schon kontrolliert.“
Der Mann ging weiter, und kümmerte sich nicht weiter um ihn.
Der Schuh...! Er hatte den Schuh vergessen!
Mario sah dem Zugbegleiter hinterher und sobald sich die Abteiltür hinter ihm geschlossen hatte, legte er sich auf den ruckelnden Boden und fingerte Maltes Schuh unter der Nachbarbank hervor. Er öffnete das Fenster und mit einem Schwung warf er das letzte Indiz seiner Tat hinaus. Dann nahm er die Cola-Flasche, wischte sie sorgfältig mit einem Papiertaschentuch ab. Er sah sich um. Kein Mensch war zu sehen. Mit einem weiten Schwung warf er die Flasche dem Schuh hinterher. Gemütlich lümmelte er sich in die Polster und sah sich um. Nichts deutete mehr auf die schreckliche Tat hin, die vor wenigen Minuten hier begangen wurde.
***
Natürlich würde er sobald der Zug in Reinberg angekommen war, die Polizei benachrichtigen müssen. Er kannte die Menschen. Etwas Aufregung geheuchelt, ein paar Tränen zerquetscht und niemand würde etwas anderes als einen Unfall vermuten. An seinen toten Freund Malte dachte er nicht mehr. Er war heiter und gelöst. Die Gefahr war gebannt. Franco Manzo, Peter Pavliç und Gerd Gabler hatte er fest im Griff. Sie alle hatten mehr zu verlieren als Malte. Außerdem fürchteten sie ihn. Und diese Furcht tat ihm gut. Mario grinste, als der Zug seine Fahrt verlangsamte. Der Zug fuhr fast Schritttempo. Gemächlich bewegte sich Mario in Richtung des Ausgangs, legte die Hand auf den schweren gusseisernen Griff und wartete darauf, dass der Zug endlich anhielt. Dann stieg er aus. Die warme Sommersonne ließ ihn blinzeln und es war ihm, als ob sein Freund Malte Pieper niemals existiert hätte.
Kapitel 3
München 28. August 1995
Ein dicker Packen vergilbter, dünner Schnellhefter schlitterte über die blankgeputzte Tischplatte und blieb als fein gegliederte Rampe kurz vor der Kante liegen.
Robert Martelli grinste seine Kollegin Sonja Sänger an: „Hat das jetzt sein müssen? Gerade habe ich den ganzen Krempel abgearbeitet und nun wirfst du mir den Mist hier auf den Schreibtisch“, sagte er und sah seine Kollegin ärgerlich an.
Nachlässig deutete seine Kollegin auf den Stapel Akten.„Weber hat mir das für dich mitgegeben, er sagt, du sollst dich mal darum kümmern.“
***
Martelli war ein großer, etwas klotzig wirkender Mann Anfang vierzig, mit starkem schwarzen Haarwuchs, an dessen Schläfen sich bereits einen leichter Grauschleier zeigte. Sein Bartwuchs war so stark, dass er bereits am Nachmittag unrasiert wirkte.
***
Er besah sich den Haufen und schüttelte den Kopf: „Was soll das denn?“, rief er, „hat die Mafia unsere Stadt übernommen und ich weiß noch nichts davon? Das sind ja mehr Fälle als wir in einem Jahr zu erledigen haben!“
Seine Kollegin grinste ihn an: „Du solltest dir mal das Datum ansehen, dann wirst du erst richtig meckern. Aber du kannst dich beruhigen, die
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