Und Rache sollst du nehmen - Thriller
entscheidende Schachzug stand noch bevor. Also ruhig Blut.
Die rote Ampel tickte vor sich hin wie eine Uhr, die langsam ablief. Tick, tick, tick. Sie schaltete um. Rot. Gelb. Grün. Ich ließ mir Zeit mit dem Losfahren.
Wieder starrte er mich an. Ich blickte ausdruckslos zurück.
»Mann!«
Als wäre das alles meine Schuld.
Er war bloß irgendein Cop. Ein Bulle unter achttausend,
einer unter einer Million in Greater Glasgow. Was hatte der schon zu melden? Er hatte ja offensichtlich überhaupt keine Ahnung, wovon er redete. Keine Ahnung von gar nichts.
Trotzdem. Ich war hochgradig angespannt und hatte es bisher nicht mal bemerkt. Ich wollte, dass die Leute über mich sprachen, über meine Taten, über meine Opfer, aber sobald einer damit anfing, wurde ich nervös. Gar nicht gut. Wichtige Dinge standen bevor, das Wichtigste überhaupt. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Nervenflattern.
Ich mied den Rückspiegel. Augen geradeaus. Ich sah ihn nicht mehr an, ich atmete nicht mal mehr, bis wir auf der Royston Road waren und bald in den Mossbank Drive einbiegen mussten.
»Die Nächste?«, fragte ich.
»Aye. Dann die Erste links.«
Ich bog rechts ab, ich bog links ab. Zwanzig Meter noch, meinte er. Ich bremste. Er stieg aus, ließ ein lachhaftes Trinkgeld springen und schlug wortlos die Tür zu.
Der Typ war ein Nichts. Endlich bekam ich wieder Luft. Von der Großstadt ins Kuhkaff. Er klopfte an eine Haustür, sie öffnete sich und schloss sich hinter ihm.
Ich atmete durch und machte mich auf den Weg. Machte weiter.
Vielleicht hatte das Gespräch nichts mit mir zu tun gehabt. Egal. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich wusste, was als Nächstes geschehen würde.
16
Ich hatte mich über Serienmörder informiert, vorzugsweise in Buchhandlungen oder der nächsten Bücherei – gekauft oder ausgeliehen hatte ich kein einziges Buch. Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet. Manchmal surfte ich auch im Internet, doch diesen Teil der Recherche beschränkte ich auf ein Minimum. Ich wusste, dass alles aufgezeichnet und protokolliert wird. Man steht ständig unter Beobachtung.
Ich hatte mir Dokumentationen angesehen, sogar eigens dafür eine Satellitenschüssel angeschafft. Ich hatte Zeitschriften gelesen, die ich stets bar bezahlte und in verschiedenen Läden besorgte.
Ted Bundy. John Wayne Gacy. Fred West. Jeffrey Dahmer. Dennis Nilsen. Albert DeSalvo. David Berkowitz. Alexander Pichushkin. Pedro Alonso López. Ich kannte sie alle.
Henry Lee Lucas und Ottis Toole, Charles Ng, Ian Brady und Myra Hindley. Albert Fish. Leopold und Loeb. Aileen Wuornos. Harold Shipman. Andrei Chikatilo. John George Haigh. John Christie. Peter Sutcliffe. Josef Fritzl.
Und Jack.
Manche hielten den Ripper für überschätzt. Ich werde nie vergessen, wie einmal jemand zu mir sagte: »Jack the Ripper wird überschätzt.« Einfach so.
Was die reine Menge anging, hatte er wahrscheinlich sogar Recht. Aber was er übersah, was sie alle übersahen, war die Tatsache, dass Jack ungeschoren davongekommen war. Der berühmteste Serienmörder der Geschichte war noch immer nicht entlarvt. Eine außergewöhnliche Leistung.
Einige Leute denken, sie wüssten, wer Jack war. Aber sie wissen es nicht. Sie können es nicht wissen.
Wer Jack the Ripper studiert, wer wirklich auf ihn abfährt, bezeichnet sich als Ripperologe. Fragt man zehn Ripperologen, wer diese Frauen ermordet hat, erhält man elf unterschiedliche Antworten.
Aber die Namen der Frauen kennen wir.
Polly Nichols.
Annie Chapman.
Liz Stride.
Kate Eddowes.
Mary Kelly.
Fünf Prostituierte aus Whitechapel. Fünf Schicksalsopfer. Jacks Opfer. Jack hat sie getötet, Jack the Ripper. Aber wir wissen nicht warum. Und wir wissen nicht, wer er war.
Queen Victorias Enkel war es, sagen sie, genannt Eddy oder auch Duke of Clarence, ein rechter Hurenbock, der von der Syphilis in den Wahnsinn getrieben wurde. Der Leibarzt der Queen war es, sagen sie, William Gull. Oder auch der königliche Geburtshelfer John Williams.
Der Maler Walter Sickert. Der deutsche Seemann Carl Feigenbaum. Oder der wahnsinnige polnische Jude Aaron Kosminski.
Der Verfasser des Ripper-Tagebuchs, James Maybrick. Der Quacksalber Francis Tumblety. Der Anwalt und Lehrer Montague John Druitt, der Abtreibungsarzt Dr. Thomas Neill Cream, der polnische Giftmischer George Chapman. Oder aber Mary Kellys Liebhaber Joseph Barnett.
Sie alle waren es, sie alle und noch hundert andere, aber in Wirklichkeit war es keiner von ihnen.
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