Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)
Energie aufzubringen, um sich diesen verdammten Film noch einmal anzusehen. Die Tür zum Flur war geschlossen, und er wippte den USB-Stick zwischen den Fingern hin und her, ohne sich aufraffen zu können, ihn in den Anschluss zu stecken. Im Augenblick war dies das Beste, was ihm eingefallen war: noch einmal den Film anzuschauen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Er wollte Petra wirklich nicht so sehen, aber er redete sich ein, dass sie es nicht wirklich war, dass eine unter Drogen gesetzte Frau in einer Vergewaltigungssituation nicht die richtige Petra sein konnte. Die wirkliche Petra war stark und eigensinnig, ließ sich nicht unterbuttern und auch niemals ausnutzen.
Wie im Trainingsraum, dachte er mit einem kleinen Lächeln. Sie hatte sich dort vielleicht nicht von ihrer angenehmsten Seite gezeigt, aber sie war echt gewesen. Sie hatte so gehandelt, wie es ihr aus ihrer Perspektive richtig erschienen war. Nicht gerechtfertigt, aber richtig. Er sah das Bild von Petra vor sich, wie er auf der Matte lag und sie von schräg unten betrachtete, durchtrainiert und hübsch, mit dem Ringrichter Malmberg über sich und einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. Statisten, die die Szene wie Ölgötzen umstanden: über ihm der großspurige Holgersson mit der ausgestreckten Hand, Brandt in der Türöffnung mit dem Handy im Anschlag. Sogar die Geräusche klangen nach. Eine Art schicksalsschwere Stille, die jäh von einem Klingelsignal unterbrochen wurde, Malmbergs Stimme, als er das Gespräch entgegennahm. Und dann der Luftzug, als Petra an ihm vorüberging. Ganz ungerührt. Er zog es vor, sie so zu sehen.
Er seufzte und hoffte, dass er genug Kräfte gesammelt hatte, steckte den USB-Stick ein und klickte sich durch die Ordner, bis er den Filmclip mit Petra gefunden hatte. Er entschied sich, die Lautsprecher aufzudrehen, die er ansonsten immer abgeschaltet hatte, und ließ den Film laufen.
Bei der Videokamera musste es sich um ein neueres Modell handeln, denn der Film war qualitativ hochwertig. Nicht inhaltlich, aber die Auflösung war hoch, obwohl das Schlafzimmer im Halbdunkel lag. Die Einrichtung war ihm unbekannt, den Männerkörper kannte er auch nicht – soweit er nun den Körper eines Mannes wiedererkennen konnte, wenn er ihn früher schon einmal gesehen hatte. Es spielte auch keine Rolle, schließlich war er hinter etwas anderem her. Aber nichts von dem, was er sah oder hörte, erzählte ihm etwas über die Person hinter der Kamera. Keine Schatten, keine herumliegenden Klamotten, kein Niesen oder Husten. Es gab genügend Geräusche, aber keine Stimmen.
Nach zwei Minuten und achtundfünfzig Sekunden war es vorbei. Die Videokamera gab zwei Töne von sich, die ankündigten, dass es vorbei war, und wurde abgeschaltet.
Im selben Augenblick kam Sandén ohne Vorwarnung in sein Zimmer getrampelt und brachte ihn auf Trab. Hamad konnte gerade noch ein neues Bild auf den Monitor klicken, als er auch schon über seinem Schreibtisch hing.
*
Die Ideen gingen ihnen allmählich aus, und mit seinem ganz neuen Bild von Einar Eriksson wuchs in Sandén ein bisher unbekanntes Gefühl der Loyalität gegenüber seinem Kollegen heran. Es sorgte für Adrenalinschübe, die ihrerseits in beherzter Entschlossenheit mündeten. Und die war ansteckend. Auch Westman und Hamad hatten sich schließlich von Sjöbergs Argumenten überzeugen lassen.
In Sjöbergs Abwesenheit übernahm Sandén das Kommando, und er war ein Mann der Extreme. Sjöberg hatte zwar unmissverständlich angeordnet, dass Mikael Rydins Wohnung unangetastet zu bleiben hatte, aber das war am Vormittag gewesen. Während ihres letzten Gesprächs hatte er deutlich gemacht, dass es das Wichtigste war, ihn zu finden, und zwar so schnell wie möglich. Im Einvernehmen mit den beiden Assistenten beschloss Sandén, dass sie sich trotz allem in dem Wohnheimzimmer umsehen sollten.
Westman blieb auf der Wache zurück und suchte weiter nach Personen, die irgendetwas über Rydins Aufenthaltsort wissen konnten. Sandén und Hamad machten sich ein weiteres Mal auf den Weg zu dem Studentenwohnheim an der Öregrundsgatan in Gärdet. Es stellte sich heraus, dass Rydin eher eine kleine Wohnung als ein Zimmer bewohnte. Sie war etwa fünfundzwanzig Quadratmeter groß und verfügte über ein Badezimmer und eine Kochnische. Dass jede Wohnung eine eigene Küche besaß, erleichterte es den beiden Polizisten, sich unbemerkt Einlass zu verschaffen. Im Augenblick hielt sich niemand im Korridor auf,
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