Und raus bist du: Kriminalroman (German Edition)
aber mit einer besorgten Miene.
»War sie schon so, als sie hierhergekommen ist?«, wiederholte Sjöberg seine Frage.
Ann-Britts Blicke flatterten nervös, bevor sie vorsichtig nickte.
Sjöberg verspürte eine gewisse Erleichterung darüber, dass er, nachdem er an diesem Tag bereits drei Personen befragt hatte, die die Zähne nicht auseinanderbekamen (seine Mutter eingerechnet), aus der vierten möglicherweise etwas Vernünftiges herausbekommen konnte. Er warf einen Blick auf die Glasluke und stellte fest, dass sie geschlossen war und sie im Augenblick niemand hören konnte.
»War das der Grund dafür, dass sie nach Solberga gekommen ist?«, fuhr er fort.
Die Schwester nickte erneut.
»Es gibt keine weitere Krankheit, wegen der sie hier ist?«
Sie schüttelte den Kopf und schien allmählich entspannter mit der Situation umzugehen.
»Hat sie medizinische Probleme?«
Nein.
»Hat sich ihr Zustand in all den Jahren verändert?«
Nein, das hatte er nicht.
»Funktioniert sie rein physisch? Kann sie gehen?«
Nicken.
»Kümmert sie sich selbst um ihre körperliche Hygiene?«
Nachdem sie eine Weile überlegt hatte – Sjöberg vermutete, eher aus menschlicher Rücksichtnahme als im Hinblick auf die medizinische Schweigepflicht –, bekam er ein Kopfschütteln als Antwort.
»Isst sie selbst?«
Nein.
»Leidet sie unter posttraumatischer Belastung?«
Sie antwortete mit einem leichten Achselzucken und schaute sich misstrauisch um, bevor sie es wagte, in Worten zu antworten.
»Möglicherweise. Es ist schwer, in einem solchen Fall eine Diagnose zu stellen. Einige Ärzte nennen es totalen Mutismus.«
»Und wie bekommt man das? Ist es ansteckend?«, fragte Sjöberg im Scherz, um die gedrückte Stimmung etwas aufzulockern.
Ann-Britt lächelte dankbar.
»Das ist es natürlich nicht. Wahrscheinlich wird es durch Stress verursacht. Man hatte ein traumatisches Erlebnis oder man ist so unglücklich, dass man die Welt aussperren möchte.«
»Man wählt es also selbst?«, sagte Sjöberg mit einem durchaus beabsichtigten Schuss Provokation.
»In gewisser Weise könnte man es natürlich so ausdrücken, aber vor allen Dingen geht es wohl darum, dass man mit dem Leben nicht mehr zurechtkommt.«
»Eine Art Alternative zum Selbstmord?«
»Ich habe das Gefühl, dass wir uns jetzt auf sehr dünnem Eis bewegen«, sagte sie aufrichtig. »Ich habe schließlich nicht Psychologie studiert. Ich bin Krankenschwester. Über diese Dinge sollten Sie mit einem Arzt oder Psychologen sprechen.«
»Und in Solveigs Fall?«
»Was meinen Sie jetzt?«
»Was ist der Grund dafür, dass Solveig Eriksson unter einer posttraumatischen Belastung leidet?«
»Das weiß ich wirklich nicht«, antwortete die Schwester. »Ich meine mich erinnern zu können, dass ich Einar vor langer Zeit einmal danach gefragt habe, aber ich habe nie eine Antwort bekommen. Der eine oder andere wird es gewusst haben, aber ich war damals noch ein junges Mädchen und sie haben mich ein bisschen außen vorgelassen. Aber ich kann mich erinnern, dass es eine ziemliche Heimlichtuerei gab.«
»Und wie ist Einar so? Kennen Sie ihn?«
»Natürlich kenne ich Einar. Er ist ein zurückhaltender Mensch, könnte man vielleicht sagen. Und was Solveig betrifft, ist er absolut fantastisch, er lässt sie niemals im Stich. Nimmt sie mit auf lange Spaziergänge. Er lässt sie das erste Stück immer selber gehen, damit sie Bewegung bekommt, dann fährt er sie im Rollstuhl weiter. Ich höre manchmal, wie er bei ihr im Zimmer sitzt und mit ihr spricht, aber niemals eine Antwort bekommt. Er bekommt noch nicht einmal einen Blick von ihr, und trotzdem ist er in all den Jahren immer bei ihr geblieben.«
»Wissen Sie etwas von Einar?«, wollte Sjöberg wissen. »In diesem Fall können Sie jedenfalls nicht auf das Patientengeheimnis verweisen«, fügte er mit einem neckischen Augenzwinkern hinzu.
»Doch, doch, das Schweigegebot gilt auch für die Angehörigen«, antwortete Ann-Britt Berg. »Ich weiß auch nicht viel. Ich weiß, dass er Polizist ist. Die ersten zwei, drei Jahre hat er noch in Arboga gewohnt, aber dann ist er nach Stockholm gezogen. Er hat wohl eingesehen, dass sich Solveigs Zustand nicht verändern würde, und hat einen neuen Anfang gemacht. Also, beruflich meine ich natürlich.«
»Hatte er keine neue Frau?«
»Woher sollte ich so etwas wissen? Er war, wie gesagt, nicht besonders gesprächig. Aber ich habe schon das Gefühl, dass er in den vergangenen Jahren etwas
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