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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina-Maria Bammel
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den richtigen Neigungswinkel für die ersten Flaschenversuche gemeinsam mit diesem kleinen Kraftbündel herauszufinden.
    Mithilfe des Arztes, des Jugendamts und begleitet von vielen Telefonaten haben wir dann Charlottes ersten Umzug vorbereitet – von München nach Berlin. Auch Katharina schien diese Lösung fast erleichtert aufgenommen zu haben. Schwere Konflikte um Charlotte, das konnte ich mir damals auch gar nicht vorstellen. Streit sollte später kommen.
    Als ich damals mit Charlotte auf dem Arm und einer Riesentasche Baby-Komplettausstattung auf der Schulter ins Flugzeug Richtung Berlin einstieg, waren es noch 13 Tage bis Weihnachten.
    Eine liebe Freundin, sie ist später eine der Patinnen von Lotte geworden, hatte in der Zwischenzeit binnen weniger Tage ein kleines Wunder fertiggebracht. Ein gebrauchtes Bett, eine gut erhaltene kleine rote Badewanne, jede Menge Bodys, Mützchen und Strickschuhe und eine Babyschale für das Auto waren organisiert. Mit dieser Schale stand sie dann am Flughafenausgang. Charlotte ist sofort darin eingeschlafen.
    Weihnachten verfügte ich über einen fast noch modernen Kinderwagen, der vor Geschrei schaukelte. Was für eine Kraft dieses Baby entfalten konnte! Übrigens bis heute!
    |137| Dieser Kinderwagen hat viele Stunden in der Theatergarderobe gestanden. Charlotte wurde ein Theaterkind. Vom Hausmeister bis zum Bühnentechniker – jeder fand sie hinreißend; die Garderobieren trugen sie immer dann, wenn ich Vorstellung hatte, mit Hingabe von »Aufgang links« zu »Aufgang rechts« – und wieder zurück.

    Irgendwann musste sich die alleinerziehende Großmutter entscheiden. Ich habe die Arbeit am Theater drastisch reduziert, um mehr für Charlotte da zu sein. Weniger Geld, aber mehr Zeit. Somit kannte ich mich plötzlich wieder aus auf den Spielplätzen bei uns im Wohngebiet. Ich war bestens informiert darüber, wie Mütter von heute denken und reden. Und ich habe mich davor gehütet, irgendeine mütterliche Altersweisheit zur Show zu stellen. Dazu gab es keinen Grund. Ich hatte genug falsch gemacht als Mutter.

    Als Lotte das erste Jahr im Kindergarten hinter sich hatte, erzählte mir die Erzieherin, meine Enkelin hätte für die Krippe auch noch eine Oma gebastelt. In der Geschichte habe man die ja vergessen.
    Meine Enkeltochter braucht manchmal mehr Aufmerksamkeit als andere Kinder. Sie tut sich nicht leicht damit, neue Gegebenheiten zu begreifen; sie leidet darunter, wenn eine Situation sie überfordert. Ihre Sprachentwicklung und Motorik werden einfach länger benötigen als bei anderen Kindern. Aber hier an der Krippe hat Charlotte gezeigt, was wirklich in ihr steckt und stellt eine Oma in den Stall.
    Charlotte und ich werden das zehnte gemeinsame Weihnachtsfest feiern. Ich habe schon die kleine Briefnotiz bei ihr auf dem Kinderschreibtisch liegen sehen: LIEBER NIKOLAUS; KANST DU DEM WEINAKTSMAN SAGEN, ICH WILL FAMILJE.

    Was nützt es da, die beleidigte Oma zu spielen und zu sagen: Genüge ich dir etwa nicht? Das wollte ich Charlotte nun wirklich nicht zumuten.
    |138| Welches Kind sollte schon ohne Familie groß werden? Ich hätte ihr auch etwas anderes gewünscht als Halbgeschwister bei anderen Pflegefamilien, eine kranke und betreute Mutter, einen unbekannten Vater.
    Ich wollte nicht bis zum Heiligen Abend warten, um mit ihr darüber zu sprechen. Darum nehme ich sie heute mit zum Ausflug. Es gibt einen Ort, an dem ich mit ihr reden möchte – über ihren Weihnachtswunsch, unsere Familie, über das Mögliche und das Unmögliche.«

    Alle Marmeladengläser sind jetzt fest verschraubt. Die meisten Kinder sind aus dem Schülercafé verschwunden. Natürlich bin ich neugierig und frage, wo dieser besondere Ort denn sein wird, an dem Oma und Lola miteinander reden werden. Aber Lola steht schon fertig angezogen in der Tür, die Schultasche auf dem Rücken, bereit für die Überraschung, und die will sie jetzt sehen … Sie ziehen los. Ich weiß nicht, wohin.

    Einige Tage später frage ich Lola nach dem Ausflug mit der Oma. Lola grinst mich an: »Wir waren bei Anna im Museum. Das ist die Oma von Jesus.«

    Natürlich hatte Jesus eine Oma. Das heißt, nach menschlichem Ermessen sollte man zumindest davon ausgehen, dass es eine Großmutter gegeben hat. Davon weiß die Bibel zwar trotz zeilenlanger Stammbaum-Angaben im Lukas- und im Matthäusevangelium nichts, oder sie schweigt zumindest darüber. Aber einige christliche Traditionen haben das Bild von jener Anna, der Mutter

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