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Und sie wunderten sich sehr

Und sie wunderten sich sehr

Titel: Und sie wunderten sich sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina-Maria Bammel
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und Körperhaltung gehören daher fraglos zur ganzen professionellen Erscheinung der »alleinerziehenden Großmutter«.
    Lola lebt seit ihrer sechsten Woche bei der Oma. Der Weg dorthin war dramatisch. Lola kennt nicht alle Details dieses Dramas – noch nicht. Während die Enkelin im Schülercafé die letzten Marmeladengläser für den Adventsbasar einfüllt und verschraubt, sehe ich in den Worten der Großmutter die vergangenen Jahre von Lola und ihr vorbeiziehen. Lolas Oma kann eben nicht nur gut Theater spielen; sie hat auch etwas zu erzählen.

    |132| »Kurz vor der Jahrtausendwende war klar, dass wir uns trennen – mein Mann und ich. Lächerlich nach 26 Jahren, dachte ich, ungefähr so lange, bis seine Möbel abgeholt und alle seine Kleidungsstücke aus der Wohnung verschwunden waren. Verschwunden in einem anderen Leben. Irgendwie schien alles und jeder in ein anderes Leben zu verschwinden. – Hauptsache weg von mir.
    Ich musste offenkundig etwas vom fünften Rad am Wagen haben. Ich war das entbehrliche Element im Leben meines Mannes und auch meiner Kinder geworden. Meine Tochter, die Ältere, war drei Jahre vorher ausgezogen. Das hätte ich mir damals auch harmonischer vorstellen können. Wir hatten nach ihrem Auszug sporadisch Kontakt, bis ihre Aussetzer kamen. Da war sie Anfang 20 und hatte irgendwann gar keine richtige Adresse mehr. Gab es mal einen Kontakt, dann redete sie Sätze, die ich beim besten Willen nicht verstand; oder sie weinte bitterlich. Wenn sie einen Freund hatte, ging es ihr meist gut, bis das wieder kippte. Dann war sie für Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwann ist mir klar geworden: Sie lebt gar nicht mehr in Berlin, und ich weiß nicht, wo sie überhaupt gelandet ist. Schlafmittel und Gemütsauffrischer oder Blutdrucksenker. Das war meine Antwort. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann auch an all diese hässlichen kleinen Nebenwirkungen.
    Irgendwann war ich fertig mit meinem Selbstmitleid und meiner Traurigkeit. Katharina, meine Tochter, war und blieb weg. Ich musste durch jeden einzelnen Tag kommen. Schließlich hatte ich einen Beruf. Wenigstens konnte ich mich lange an dem Gedanken festhalten, ich werde zumindest auf der Bühne gebraucht. Die Arbeit hat mir nicht nur die hohen Scheidungskosten finanziert, sondern meine Fluchten aus dem Trübsinn ermöglicht. Ich war ja gerade erst 55 geworden. Anfang Herbst war die Familienwohnung endgültig aufgelöst. Das Meiste verschenkt. Ich wollte den neuen Anfang am besten in einer kleinen Wohnung für mich gemeinsam mit ein paar guten Erinnerungen starten. |133| Kaum war der neue Telefonanschluss eingerichtet, erhielt ich den ersten Anruf. Draußen konnte ich den ersten Schnee sehen, als ich den Hörer ans Ohr nahm.
    ›Sind Sie eine Verwandte von Katharina B.‹
    Verwandte?
    Was für ein seltsames Wort für eine aus dem Ruder gelaufene Mutter-Kind-Beziehung.
    Ich erfuhr, dass meine Tochter stationär aufgenommen worden war. Sie habe sich gewünscht, dass ihre Familie benachrichtigt wird, sagte die Frau mit bayerischem Akzent.
    In diesem Moment konnte ich mir nichts Unwahrscheinlicheres vorstellen als diese Information. Meine Tochter wollte tatsächlich ihre ›Familie‹ benachrichtigt wissen?
    Was passiert war, hatte man mir kurz und nüchtern in ein paar Sätzen mitgeteilt. Psychotische Zustände wahrscheinlich nach langem und regelmäßigem Missbrauch von Suchtmitteln. Ich wollte es gar nicht im Detail wissen, hatte es schon immer geahnt.
    Noch heute wundere ich mich über mich selbst: Warum bin ich nicht sofort losgerannt, habe ein Ticket gekauft, alles stehen und liegen gelassen – das Theater, die Einrichtung meines neuen Lebens? Warum bin ich nicht sofort nach München gefahren? Dort war sie gestrandet. Wahrscheinlich aus Angst! Für diese Situation gab es einfach kein Drehbuch. Ich hatte nicht Fantasie und Gefühl genug, etwas daraus zu machen.
    Ich blieb in Berlin, schrieb ihr einen Brief ins Krankenhaus und verabredete einen weiteren Telefontermin mit dem Stationsarzt. Kann eine Mutter je so ihr Kind verlassen, auch wenn es schon 23 Jahre alt ist? Ich habe eigentlich nicht das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen; ich würde mich nach über 50 Lebensjahren nur selbst ganz gern verstehen …
    Wenig später wurde Katharina aus dem Krankenhaus entlassen. Bei unserem Telefonat sagte sie, es gehe ihr gut. Mehr wollte sie mir nicht verraten.
    Da hatte sie noch vier Wochen bis zum Geburtstermin; das allerdings habe ich nicht

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