Und so verlierst du sie
Highschooljahrs fing sie an, Zeitungen auszutragen, um Geld zu verdienen, und weil ich oft draußen war, sah ich sie ab und zu. Brach mir das Herz. Ihren Tiefpunkt hatte sie noch nicht erreicht, aber sie war auf dem besten Wege, und wenn wir uns zufällig trafen, lächelte sie immer und sagte Hi. Sie nahm zu und hatte sich die Haare ganz kurz geschnitten, und ihr Mondgesicht wirkte teigig und einsam. Ich fragte immer Wie geht’s?, und wenn ich Zigaretten hatte, gab ich sie ihr. Sie war zur Beerdigung gekommen, genau wie ein paar andere seiner Freundinnen, und was hatte sie da für einen Rock an – als könnte sie ihn vielleicht immer noch von etwas überzeugen, und sie hatte meiner Mutter einen Kuss gegeben, aber die vieja wusste nicht, wer sie war. Ich musste es Mami auf der Heimfahrt erklären, und sie wusste nur noch, dass Nilda das Mädchen war, das gut gerochen hatte. Erst als Mami das sagte, fiel es mir auch auf.
Es war nur ein Sommer, und sie war niemand Besonderes, also was soll das alles? Er ist tot, er ist tot, er ist tot. Ich bin dreiundzwanzig und wasche meine Klamotten in der Ladenzeile oben in der Ernston Road. Sie ist auch hier – sie legt ihre Sachen zusammen und lächelt und zeigt mir ihre Zahnlücken und sagt, Es ist lange her, was, Yunior?
Jahre, sage ich und stopfe die weiße Wäsche in die Maschine. Draußen ist keine Möwe am Himmel zu sehen, und zu Hause wartet meine Mom mit dem Abendessen auf mich. Vor sechs Monaten haben wir vor dem Fernseher gesessen, und meine Mutter sagte, Tja, ich glaube, ich bin über diesen Ort endlich hinweg.
Nilda fragt, Bist du umgezogen oder so?
Ich schüttle den Kopf. Habe nur gearbeitet.
Gott, es ist wirklich lange her. Sie macht ihre Sachen fertig wie durch Zauberei, alles ordentlich, alles passend. An den Tischen stehen noch vier andere Gestalten, heruntergekommene Nigger mit Kniestrümpfen und Pokerkappen und Narben, die sich ihre Arme hinaufziehen, und verglichen mit Nilda wirken sie alle wie Schlafwandler. Grinsend schüttelt sie den Kopf. Dein Bruder, sagt sie.
Rafa.
Sie zeigt mit dem Finger auf mich, wie mein Bruder es immer gemacht hat.
Manchmal fehlt er mir.
Sie nickt. Mir auch. Zu mir war er ein guter Kerl.
Ich sehe sie wohl ungläubig an, denn sie hört auf, ihre Handtücher auszuschlagen, und starrt glatt durch mich hindurch. Niemand hat mich so gut behandelt.
Nilda.
Er hat mit meinen Haaren auf seinem Gesicht geschlafen. Er hat gesagt, damit würde er sich sicher fühlen.
Was gibt es noch zu sagen? Sie stapelt die letzten Sachen aufeinander, ich halte ihr die Tür auf. Die anderen Kunden sehen uns nach. Beladen mit Klamotten gehen wir langsam durch unser altes Viertel. London Terrace hat sich verändert, seit die Müllhalde dichtgemacht wurde. Die Mieten sind in die Höhe geschossen, in den ganzen Wohnungen leben Asiaten und Weiße, aber auf den Straßen und Veranden sieht man unsere Kinder.
Nilda sieht auf den Boden, als hätte sie Angst, sie könnte fallen. Mein Herz hämmert, und ich denke, wir könnten alles machen. Wir könnten heiraten. Wir könnten an die Westküste fahren. Neu anfangen. Alles ist möglich, aber wir schweigen lange, der Augenblick verstreicht, und wir sind wieder in der Welt, die wir immer kannten.
Weißt du noch, wie wir uns zum ersten Mal getroffen haben?, fragt sie.
Ich nicke.
Du wolltest Baseball spielen.
Es war Sommer, sage ich. Du hattest ein Trägerhemd an.
Ich musste ein Trikot überziehen, bevor du mir erlaubt hast, in deinem Team mitzuspielen. Erinnerst du dich noch?
Ja, ich erinnere mich, sage ich.
Danach haben wir nie wieder miteinander geredet. Ein paar Jahre später bin ich ans College gegangen, und ich habe keine Ahnung, wo zum Teufel sie geblieben ist.
ALMA
Du, Yunior, hast eine Freundin namens Alma mit einem langen, zarten Pferdehals und einem prallen dominikanischen Hintern, der wirkt, als würde er in einer vierten Dimension jenseits von Jeans existieren. Einem Hintern, der den Mond aus seiner Umlaufbahn ziehen könnte. Einem Hintern, den sie nie mochte, bevor sie dich traf. Kein Tag, an dem du nicht das Gesicht gegen diesen Hintern drücken oder an den köstlichen Sehnen ihres Halses knabbern möchtest. Du liebst ihr Zittern, wenn du sie beißt, und wie sie sich mit Armen wehrt, die so dürr sind, dass sie einen Problemfilm im Schulfernsehen verdienen.
Alma studiert an der Mason Gross School of the Arts und ist eine dieser Sonic Youth hörenden, Comics lesenden alternatinas, ohne
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