Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und so verlierst du sie

Und so verlierst du sie

Titel: Und so verlierst du sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Junot Díaz
Vom Netzwerk:
saumüde, klagte er, und manchmal taten ihm morgens die Knochen in den Beinen so weh, dass er nicht sofort aufstehen konnte. Die Römer haben den Leuten die Schienbeine mit Eisenstangen gebrochen, erzählte ich ihm, während ich seine Beine massierte. Die Schmerzen haben einen sofort umgebracht. Toll, meinte er. Munter mich ruhig weiter auf, du blöder Arsch. Irgendwann hat Mami ihn im Krankenhaus untersuchen lassen, und danach saßen sie auf dem Sofa, beide ordentlich herausgeputzt, und sahen fern, als wäre nichts gewesen. Sie hielten Händchen, und Mami wirkte winzig neben ihm.
    Und?
    Rafa zuckte mit den Schultern. Der Arzt meint, ich hätte Anämie.
    Anämie ist nicht schlimm.
    Ja, meinte Rafa und lachte verbittert. Ein Hoch auf Medicaid.
    Im Licht des Fernsehers sah er schrecklich aus.

    In diesem Sommer schwebte alles, was aus uns werden würde, fast zum Greifen nahe über uns. Die Mädchen nahmen mich langsam zur Kenntnis; ich sah nicht gut aus, aber ich konnte zuhören und hatte vom Boxen muskulöse Arme. In einem anderen Universum lief es wahrscheinlich gut für mich, ich hatte reichlich novias und Jobs und schwamm in einem Meer aus Liebe, aber in dieser Welt hatte ich einen Bruder, der an Krebs starb, und vor mir lag eine lange finstere Phase, wie eine Meile auf schwarzem Eis.
    Ein paar Wochen, bevor die Schule wieder anfing – sie dachten wohl, ich würde schlafen –, erzählte Nilda Rafa von ihren Plänen. Ich glaube, sogar sie wusste, was passieren würde. Mitanzuhören, wie sie sich ihr Leben ausmalte, war unglaublich traurig. Sie wollte von ihrer Mom weg und eine Wohngruppe für Ausreißer gründen. Aber eine coole, sagte sie. Für normale Kinder, die einfach Probleme hatten. Sie muss ihn geliebt haben, denn sie redete immer weiter. Viele Leute behaupten, sie hätten einen guten Flow, aber an diesem Abend habe ich wirklich einen gehört, etwas, das strömte, das mit sich kämpfte und gleichzeitig ein Ganzes ergab. Rafa sagte nichts dazu. Vielleicht hatte er die Hände in ihrem Haar vergraben, oder er dachte nur, Leck mich. Als sie fertig war, hat er nicht mal Wow gesagt. Ich hätte sterben können, so habe ich mich geschämt. Etwa eine halbe Stunde später stand sie auf und zog sich an. Sie kann mich nicht gesehen haben, sonst hätte sie gemerkt, dass ich sie schön fand. Sie stieg in ihre Hose, zog sie mit einer fließenden Bewegung hoch und zog den Bauch ein, um sie zuzuknöpfen. Bis später, sagte sie.
    Klar, meinte er.
    Als sie gegangen war, schaltete er das Radio ein und nahm sich die Boxbirne vor. Ich gab es auf, mich schlafend zu stellen, setzte mich auf und sah ihm zu.
    Habt ihr euch gestritten oder so?
    Nein, antwortete er.
    Warum ist sie gegangen?
    Er setzte sich auf mein Bett. Seine Brust war verschwitzt. Sie musste weg.
    Wo soll sie denn schlafen?
    Weiß ich nicht. Sanft berührte er meine Wange. Warum kümmerst du dich nicht um deinen Kram?
    Eine Woche später war er mit einem anderen Mädchen zusammen. Sie kam aus Trinidad, eine cocoa pañyol mit einem unglaublich gekünstelten britischen Akzent. So waren wir damals alle. Wir wollten alle keine Nigger sein. Nicht ums Verrecken.

    Etwa zwei Jahre waren vergangen. Mein Bruder war mittlerweile gestorben, und ich wurde langsam irre. Meistens schwänzte ich die Schule, ich hatte keine Freunde und saß nur im Haus und sah mir Univisión an oder lief runter zur Müllkippe und rauchte das mota, das ich eigentlich verkaufen sollte, bis ich nicht mehr gucken konnte. Bei Nilda lief es auch nicht besonders. Aber vieles, was ihr passierte, hatte weder mit mir noch mit meinem Bruder zu tun. Sie verliebte sich noch ein paarmal, einmal richtig übel in einen moreno, einen LKW -Fahrer, der sie mitnahm nach Manalapan und sie am Ende des Sommers sitzenließ. Ich musste runterfahren, um sie abzuholen, aus einem winzigen Kasten von Haus mit einem armseligen Garten und ohne einen Hauch von Charme; sie führte sich auf wie eine Italienerin und bot mir im Auto einen paso an, aber ich legte meine Hand auf ihre und sagte, sie solle damit aufhören. Zu Hause ließ sie sich wieder auf dumme Nigger ein, auf Typen, die aus der Stadt hergezogen waren und ein großes Drama abzogen, und einige ihrer Freundinnen verprügelten Nilda, schlugen sie so zusammen, dass sie einen ihrer unteren Schneidezähne verlor. Mal kam sie zur Schule, mal nicht, eine Zeitlang wurde sie zu Hause unterrichtet, und schließlich warf sie die Schule ganz hin.
    Während meines vorletzten

Weitere Kostenlose Bücher