Und so verlierst du sie
ich nachts seine Knöchel, die so faltig sind wie Backpflaumen. Die ganzen drei Jahre, die wir zusammen sind, haben seine Hände nach Keksen und Brot geschmeckt.
Er redet weder mit mir noch mit Ana Iris, während er sich anzieht. In der Brusttasche seiner Jacke steckt ein blauer Einwegrasierer, der an der Klinge Rost ansetzt. Er seift sich Wangen und Kinn mit dem Wasser ein, das kalt aus der Leitung kommt, dann schabt er sich das Gesicht sauber und tauscht Stoppeln gegen Schorf. Ich sehe zu, meine nackte Brust von einer Gänsehaut überzogen. Er stapft nach unten und aus dem Haus, an seinen Zähnen klebt noch ein Rest Zahnpasta. Sobald er gegangen ist, kann ich hören, wie sich meine Mitbewohnerinnen über ihn beklagen. Hat er denn kein eigenes Bett?, werden sie mich fragen, wenn ich unten in die Küche komme. Und ich werde sagen, Doch, und lächeln. Durch das vereiste Fenster sehe ich, wie er seine Kapuze hochschlägt und die drei Schichten von Hemd, Pullover und Jacke enger um die Schultern zieht.
Ana Iris schiebt ihre Decken zurück. Was machst du da?, fragt sie mich.
Nichts, antworte ich. Unter ihrer wilden Mähne hervor sieht sie mir beim Anziehen zu.
Du musst lernen, deinen Männern zu vertrauen, sagt sie.
Ich vertraue doch.
Sie drückt mir einen Kuss auf die Nase und geht nach unten. Ich kämme mir die Haare und fege die Krümel und Schamhaare von meinen Laken. Ana Iris glaubt nicht, dass er mich verlassen wird, sie glaubt, er habe hier schon zu sehr Wurzeln geschlagen, wir seien schon zu lange zusammen. Jemand wie er würde vielleicht zum Flughafen fahren, aber nicht ins Flugzeug steigen, sagt sie. Ana Iris hat ihre eigenen Kinder auf der Insel gelassen, ihre drei Jungs hat sie seit fast sieben Jahren nicht mehr gesehen. Sie versteht, welche Opfer eine Reise erfordert.
Im Badezimmer starre ich mir in die Augen. Seine Bartstoppeln beben in Wassertropfen, Kompassnadeln.
Ich arbeite zwei Straßen weiter im St. Peter’s Hospital. Bin nie zu spät. Verlasse nie die Wäscherei. Verlasse nie die Hitze. Ich befülle Waschmaschinen, ich befülle Trockner, zupfe die Fusseln vom Flusensieb, dosiere gehäufte Messlöffel Waschpulver. Ich bin für vier andere Arbeiterinnen verantwortlich, verdiene so viel wie eine Amerikanerin, aber es ist ein Knochenjob. Mit Handschuhen sortiere ich haufenweise Laken. Die Schmutzwäsche wird von Krankenpflegerinnen heruntergebracht, meistens morenas. Die Kranken sehe ich nie; sie besuchen mich durch die Flecken und Spuren, die sie auf den Laken hinterlassen, das Alphabet der Kranken und Sterbenden. Oft sind die Flecken zu tief eingedrungen, diese Wäsche muss ich in einen gesonderten Korb werfen. Eines der Mädchen aus Baitoa hat erzählt, dass angeblich alles in diesem Korb verbrannt wird. Wegen dem sida, flüstert sie. Manchmal sind die Flecken stockig und alt, und manchmal riecht das Blut so stechend wie Regen. Bei all dem Blut, das wir zu sehen bekommen, könnte man glauben, in der Welt wüte ein großer Krieg. Nur der in den Körpern, sagt die Neue.
Meine Mädchen sind nicht gerade zuverlässig, aber ich arbeite gerne mit ihnen. Sie lassen Musik laufen, sie bekriegen sich, sie erzählen mir lustige Geschichten. Und weil ich nicht herumschreie oder sie drangsaliere, mögen sie mich. Sie sind jung, ihre Eltern haben sie nach Amerika geschickt. Genauso alt wie ich, als ich ankam; jetzt mit achtundzwanzig, nach fünf Jahren hier, bin ich eine Veteranin für sie, ein Fels, aber damals, ganz am Anfang, war ich so einsam, dass sich jeder Tag anfühlte, als würde ich mein eigenes Herz essen.
Einige der Mädchen haben Freunde, und bei ihnen hüte ich mich, mich auf sie zu verlassen. Sie kommen zu spät oder wochenlang gar nicht, sie ziehen ohne Vorwarnung nach Nueva York oder Union City. Wenn das passiert, muss ich zum Büro des Abteilungsleiters. Er ist ein kleiner Mann, ein dünner Mann, der aussieht wie ein Vogel; im Gesicht hat er keine Haare, aber sie wuchern ihm auf der Brust und den Hals hinauf. Wenn ich ihm erzähle, was passiert ist, zieht er die Bewerbung des Mädchens hervor und zerreißt sie, ein extrem sauberes Geräusch. Weniger als eine Stunde später hat eines der anderen Mädchen eine Freundin zu mir geschickt, damit sie sich bewirbt.
Die Neueste heißt Samantha, und sie ist ein Problem. Sie ist dunkel mit buschigen Augenbrauen und einem Mund wie nicht weggefegtes Glas – wenn man am wenigsten damit rechnet, schneidet sie einen. Hat die Stelle übernommen,
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