Und stehe auf von den Toten - Roman
verriet Prospero, wie aufgeregt Caprara im tiefsten Innern seiner Seele tatsächlich war. Sein Vorgesetzter neigte nicht zu Ungerechtigkeiten.
Die Freunde umarmten sich zum Abschied, und kaum saß Prospero in der Kutsche, da trieb der Fuhrmann auch schon das Pferd an. Die Enge des Gefährtes ließ ihn hautnah mit Capraras wallender Leibesfülle in Berührung kommen. Aber er empfand diese Nähe nicht als unangenehm. Obwohl sein Vorgesetzter wie alle beleibten Menschen zur Transpiration neigte, roch er nicht nach abgestandenem Schweiß. Dazu legte der Auditor viel zu viel Wert auf die Pflege seines Körpers. Ein guter Wein, ein vorzügliches Essen, eine humorvolle Unterhaltung mit Freunden, das tägliche Bad und dezente Duftwässer zählten zu seinen unverzichtbaren Freuden.
Prospero fragte sich trotz seines Ärgers, was der Papst um alles in der Welt von ihm wollte. Dass er nicht nur den erfahrenen Richter Caprara, sondern auch ihn einbestellte, erregte seine Besorgnis. Sie hassten einander. Um das Verhältnis zwischen Prosperos Vorgesetztem und dem Papst stand es indes nicht besser. Der ehemalige Kardinal Albani hatte als Papst Klemens XI. bisher Alessandro Caprara noch keine Audienz gewährt. Weit geringere Angehörige der römischen Kurie wurden inzwischen schon zum Pontifex gebeten. Der Affront war offensichtlich. Damit hatte er seinem Hof demonstriert, dass der Stern des einst so mächtigen Mannes unweigerlich im Sinken begriffen
war. Niemand staunte darüber, denn der Richter der Rota, Roms oberstem Gerichtshof, galt als treuer Gefolgsmann Carasolis, der einst Albani bekämpft und sich schließlich in die Einöde zurückgezogen hatte.
Weder vergaß Albani, noch verzieh er. Keiner gab für Capraras Karriere noch einen Pfifferling. Seine Kollegen gingen auf Distanz zu ihm, junge karrierewillige Männer bemühten sich nicht um seine Protektion. Niemand wollte bei seinem unweigerlichen Untergang mit in die Tiefe gerissen werden. Und Prospero? Er konnte und wollte seinen Gönner nicht im Stich lassen, auch wenn er die Entwicklung mit wachsender Unruhe verfolgte.
Im vatikanischen Palast erfuhren sie, dass Klemens XI. sie in den Stanzen des Raffaels erwartete. Sie folgten der großen Treppe ins zweite Geschoss des Palastes und betraten den langen Gang. Raffael hatte die Loggien einst zur geistigen Erholung des Papstes geschaffen.
Es passte, dass Gian Francesco Albani sie hier empfing, denn wie der göttliche Raffael war auch er in Urbino geboren, nur eben gute anderthalb Jahrhunderte später. Die schlanke Gestalt des Pontifex verharrte wie eine Skulptur unter einem der Bögen am anderen Ende des Korridors. Er blickte hinaus auf den Garten, vielleicht auch auf die Stadt, denn von hier oben besaß man die schönste Aussicht auf Rom. Da es wegen des Nordwindes empfindlich kühl war, trug er einen roten Mantel und eine mit Hermelinfell gefütterte Samtkappe.
Sie schritten den Gang entlang auf ihn zu. Über ihren Köpfen schufen Baldachingewölbe Räume für Fresken und reizvolle optische Täuschungen. Antike Säulen und das auf ihnen ruhende Gebälk schienen in den blauen Himmel zu streben, als ob die Stanzen nicht überdacht seien. Prospero,
der bisher nur durch seinen Freund Velloni Kenntnis von Raffaels Werk erhalten hatte, staunte trotz seiner Anspannung über die meisterhafte Ausführung der biblischen Geschichte auf den Deckenmalereien. Die Szenen, die von den Hoffnungen und Drangsalen des auserwählten Volkes berichteten, beruhigten den jungen Mann. Sie schienen ihm zuzuflüstern: Gott verlässt die seinen nicht. Und den Beistand Gottes konnte er wahrhaftig gebrauchen, wenn er unter diesen Umständen zu dessen Stellvertreter auf Erden gerufen wurde.
Auf dem glänzend polierten Marmor knieten sie vor ihrem obersten Dienstherrn nieder. Er reichte nachlässig die rechte Hand zum Kusse, dann befahl er den beiden Männern, sich zu erheben. Erst jetzt löste er sich von dem Stadtpanorama und wandte sich ihnen zu. Prospero erschrak bei seinem Anblick. Seit den Tagen unmittelbar vor dem Konklave hatte er den Kirchenfürsten nicht mehr gesehen. Er schien seitdem nicht um ein, sondern um mindestens fünf Jahre gealtert zu sein. Klemens wirkte, als ob er der Erholung dringend bedurfte. Sorgen verdunkelten seine feinen Gesichtszüge. Die Nase schien spitzer als gewöhnlich, die Mundwinkel hingen tiefer und sorgten so für die Anmutung eines Doppelkinns. Seine Augen waren verschattet, und seine Stirn lag in tiefen
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