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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Augen, Kolumbianer mit dem Stoff, der sie alle in Stimmung brachte.
    Der Commissaris ging zwischen ihnen und fragte sich, ob Amsterdam wirklich schon immer so gewesen war. Er ging durch Chinatown, vorbei an einer Garküche, einer Wäscherei, einem Friseur, einer Apotheke, einer kleinen Druckerei, einem Matratzenausstopfer, einem mehrstöckigen Warenhaus, einer Zeitungsredaktion, dem kleinen buddhistischen Tempel mit seinem goldgetäfelten Dach. Er ging vorbei an offenen Türen, unter Schriftzügen in farbig leuchtendem Neon-Orange – unverständliche Herolde fremdartiger Zerstreuungen, Genüsse, Tätigkeiten. Es roch nach Räucherstäbchen und gebratenen Enten. Waren die Chinesen auch schon immer hier gewesen, mit ihren Lampions, den Papierdrachen? Und die Inder, seit wann gab es so viele Inder in der Stadt, und seit wann zogen sie sich zum Sterben in den Bauch von Hausbooten zurück?
    Es begann zu regnen, ein kurzer, warmer Schauer, der schon wiederaufhörte, als Van Leeuwen den Platz vor der Oude Kerk erreichte. Ein Geruch nach brackigem Wasser und Tang stieg aus der Gracht. Der Himmel war auf einmal blau, nicht rot, und der Mond wirkte wie frisch poliert.
    In tiefen Zügen atmete Van Leeuwen die Nachtluft, bevor sie wieder schwer und stickig wurde. Er spürte es erst ganz leise, aber da kümmerte er sich noch nicht darum, als wäre es nur ein Fetzen von einem Schlager, den man in Ruhe lassen musste, sonst hatte man schnell das ganze Lied im Kopf und wurde es nicht mehr los. Doch das, was er spürte, ging nicht wieder weg.
    Eine junge Afrikanerin in einem roten Plastikmantel lächelte ihm zu, unter einer Laterne, und er merkte, dass auch er lächelte. Die Stadt war ein großes Labyrinth, aber alles darin war ihm vertraut – die Mädchen in den gedämpft beleuchteten Schaufenstern, die herumstreichenden, unruhigen Männer, das Neonflackern an den Fassaden der alten Häuser, die Sirenen der Polizeiwagen. Er kannte die verborgenen Eingänge und die geheimen Laster, zu denen sie führten. Amsterdam hatte sich nicht verändert. Er ging weiter, und mit jedem Schritt fühlte er sich weniger allein, denn das Lied klang jetzt unablässig in seiner Brust.
    Es gab Hoffnung.
     
    Riki Tiki Tavi , das Hausboot, das Hoofdinspecteur Anton Gallo von seinem Vater geerbt hatte, lag in der Nähe der Noorderkerk – nur einen Steinwurf entfernt von Van Leeuwens Wohnung – am Kai der Brouwersgracht. Luchino Gallo, Einwanderer in der zweiten Generation und Besitzer dreier Eisdielen in Amsterdam, hatte es auf den Namen Giordano Bruno getauft, aber bei der Generalüberholung nach seinem Tod war auch dieser Name überpinselt worden. Im Grunde erinnerte nur die große rot-grün bemalte Eiscrememaschine unter einem Baldachin aus Segeltuch auf dem Vorderdeck noch an den Vater des Hoofdinspecteurs.
    Das Boot war fünfzehn Meter lang und nicht ganz drei Meter hoch; der mit Eisen ummantelte Rumpf ochsenblutrot lackiert. Die lang gestreckten Deckaufbauten hatte Ton Gallo sandfarben gestrichen.Das Dach, noch nass vom Regen, glänzte in dunklem Ocker. Es war nicht das schönste Schiff in der Brouwersgracht, aber man konnte erkennen, dass es immer die Pflege erhalten hatte, die es brauchte; keine Spur von Rost, auch nicht unter der frischen Farbe.
    Der Commissaris sah Licht hinter den heruntergelassenen Leinenjalousien des Wohnraums. Auch die gelben Gaslampen an Bug und Heck waren noch an, umtanzt von flirrenden Moskitowolken. Das Wasser der Gracht schmiegte sich schwarz und unbewegt an das Schanzkleid. Neben der Eismaschine lehnte ein Fahrrad. Im Heck war eine Satellitenschüssel gen Himmel gerichtet.
    Van Leeuwen stand auf der Kaimauer und überlegte, ob Amir Singh das Boot, auf dem er getötet worden war, in der Nacht seiner Ermordung zufällig gefunden oder ob er es auf der Suche nach einem Versteck schon vorher beobachtet hatte. So lange, bis er sicher sein konnte, dass es vorübergehend unbewohnt war. Der Commissaris wusste nicht, ob das eine Rolle spielte, aber es gehörte zur Vorgeschichte des Verbrechens. Zu dem, was rekonstruiert werden musste.
    Er setzte einen Fuß auf die Gangway, die leise knarrte. Aus den offenen Fenstern des Wohnaufbaus drang gedämpfter Zigeunerjazz; Van Leeuwen erkannte die Gitarre von Django Reinhardt. »Ton«, rief er, »ich bin’s, kann ich reinkommen?« Er betrat das Deck, ging an einem Liegestuhl und an einer Hängematte vorbei und tastete sich zur Eingangstür vor.
    »Bruno?« Gallo öffnete die Tür und

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