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Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall

Titel: Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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unserem Gehirn transportiert werden, Gedanken, Befehle, Erinnerungen, alles. Dadurch verlieren die Patienten mehr und mehr das Gedächtnis und die Kontrolle über den eigenen Körper. Tja, und den Wissenschaftlern in Amerika ist es nun gelungen, diese Nervenschwellungen bei Mäusen zurückzubilden.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Mäuse auch an Alzheimer erkranken«, sagte Van Leeuwen.
    »Tun sie auch nicht«, erklärte der Arzt. »Sie wurden vorher genetisch verändert, also künstlich krank gemacht. Diesen genetisch veränderten Mäusen haben die Forscher anschließend ebenfalls gezüchtete Antikörper ins Gehirn gespritzt. Schon nach drei Tagen lösten sich die alzheimertypischen Ablagerungen von den Nervenzellen, und die dadurch entstandenen Schwellungen gingen zurück. Bisher dachten alle, dass diese Schwellungen nicht heilbar seien, aber bei den Mäusen in den Labors hatten die Zellen binnen weniger Tage wieder ihre frühere normale Struktur erlangt, und zwar ohne Ausnahme.«
    Es gibt Hoffnung, dachte Van Leeuwen, es gibt also doch Hoffnung.
    Ten Damme legte seine Pfeife mit dem Kopf in den Aschenbecher auf seinem Schreibtisch. »Allerdings gibt es keine Garantie, dass sich diese Erfolge auch bei Menschen wiederholen lassen«, sagte er.
    Das musste er sagen. Auch, dass es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern konnte. Aber Simone war noch jung, kaum über fünfzig, und vielleicht ging es ja doch schneller. »Ich denke, ich werde mich auf den Heimweg machen«, sagte Van Leeuwen. »Danke, dass Sie Zeit für mich hatten.«
    Ten Damme erhob sich von der Schreibtischkante, gab ihm aber nicht die Hand. Stattdessen ging er zum Fenster und öffnete es, umdie frische Nachtluft ins Zimmer zu lassen. Ohne Van Leeuwen anzusehen, sagte er: »Die Vergangenheit kommt nicht wieder, aber sie verschwindet auch nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir alle ein bisschen Ewigkeit in unseren Seelen mit uns herumtragen.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »In einer Situation wie der Ihren ist es hilfreich, wenn man gute Freunde hat. Haben Sie gute Freunde?«

10
    Auf der anderen Seite der Amstel stockte der Verkehr, und rote Rücklichter standen die ganze Stadhouderskade hinauf bis zum American Hotel . Glitzernd spiegelten sich die bunten Glühbirnen an den Bögen der Magere Brug auf dem schwarzen Wasser des Flusses. Trotz der späten Stunde flanierten Passanten in Schwärmen über die Trottoirs, und an den Tischen der Cafés rund um den Leidseplein waren alle Plätze besetzt.
    Als der Commissaris die Elandsgracht erreicht hatte, stellte er den Wagen auf seinem Platz auf dem obersten Deck des Europarking gegenüber des Präsidiums ab, bevor er an der Marnixstraat die nächste Straßenbahn Richtung Museumsplein nahm. Es war spät, aber nicht spät genug, um jetzt schon nach Hause zurückzukehren. Am Leidseplein wechselte er die Linie und stieg in die 5 zur Centraal Station. Von seinem Stehplatz aus konnte er auf die Fußgänger hinunterschauen, die sich im fahlen Licht der Schaufenster und Neonreklamen durch die enge Straße schoben.
    Langsam trieben sie dahin, Städter und Touristen, Einheimische und Ausländer, Männer und Frauen und halbe Kinder, alle, die nachts noch leben wollten, die keinen Schlaf fanden, die arbeiten mussten. Der Commissaris sah sein Spiegelbild in der Scheibe, und dahinter sah er die anderen, über die das Bild hinwegglitt. Sie wandelten unter den Straßenlaternen über die Kais und Brücken wie Zombies. Warteten an den Ampeln auf grünes Licht, an den Selbstbedienungsautomaten auf warmes Essen, hinter Fenstern ohneVorhänge auf bezahlte Liebe. Sie suchten nach einem freundlichen Gesicht, einer zärtlichen Geste, einem einzigen Wort vielleicht.
    Der Commissaris hatte kein Ziel. Er ging oft nachts durch die Straßen. Er fuhr mit dem Bus oder der Straßenbahn und manchmal auch mit dem Rad. Er dachte, dass er sich dann nichts vorzuwerfen brauchte, wenn jemandem etwas passierte; er hatte nicht untätig auf der Couch gesessen, er hatte nicht geschlafen. Es war wichtig, den Kontakt zur Straße nicht zu verlieren, vor allem nicht bei Nacht. Er hatte keine Angst vor der Stadt; Angst hatte er vor seiner Wohnung, vor den Bildern darin.
    Eine Station vor der Centraal Station stieg Van Leeuwen aus und ging ein Stück den Dam entlang. Vom Bahnhof drang das Geräusch rangierender Züge an seine Ohren. Signale wechselten, Weichen wurden gestellt, Güterwaggons rollten vor und zurück. Im weißen Licht starker

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