Und verfuehre uns nicht zum Boesen - Commissaris van Leeuwens zweiter Fall
lang hatte ich Ruhe davor, aber jetzt sind sie auf einmal wieder da.«
»Von Srebrenica?«, fragte Van Leeuwen. »Von den Massengräbern?«
»Von denen, die wir darin gefunden haben.« Gallo nahm zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, entfernte die Kronkorken und reichte Van Leeuwen eine Flasche. »Vielleicht liegt es an Amir Singh, an dem Foto, auf dem er da im Dunkeln liegt, völlig zerschnitten.« Er hob seine Flasche, deutete ein Prost an. »Wobei mir einfällt: Ich habe mich bei den Kollegen vom Diebstahl erkundigt, die Sharmas haben tatsächlich einen Mercedes als gestohlen gemeldet, rot, Baujahr 2000. Aber das hat nichts zu bedeuten, sie können ihn trotzdem selbst weggeschafft haben, nachdem er bei dem Mord an Amir in Mitleidenschaft gezogen worden war. Falls einer von ihnen an dem Mord beteiligt war.«
Van Leeuwen sagte: »Wenn Amir der Dieb gewesen wäre, hätten wir den Mercedes irgendwo gefunden, entweder in der Nähe der Videothek oder in der Umgebung des Hausboots.«
»Nicht unbedingt«, widersprach Gallo. »Wäre doch möglich, dass die Sharmas uns zuvorgekommen sind. Amir hat den Wagen gestohlen, sie haben ihn aufgespürt und umgebracht, vielleicht sogar deswegen. Dann haben sie den Mercedes zurückgeholt, und als ihnen klar geworden ist, dass wir ihnen die Tat anhand der Beschädigung der Karosserie nachweisen können –«
»Vorausgesetzt, die Beschädigung ist ihnen aufgefallen und sie wissen, dass unsere Techniker anhand der Lacksplitter auf das Modell schließen können«, sagte Van Leeuwen. »Dann bleibt immer noch die Frage, warum Amir den Wagen gestohlen hat.«
Gallo sagte: »Um die beantworten zu können, müssten wir wissen, warum er überhaupt im Palast der 1000 Gewürze angeheuert hat, mit einer erfundenen Geschichte, als falscher Sikh, im Auftrag des unbekannten Mannes aus seiner Vergangenheit – der eines Tages wieder in der Videothek aufgetaucht ist, out of the blue ...«
»Dieser Mann ist der Schlüssel«, erklärte Van Leeuwen. »Wer ist das? Was wollte er von Singh? Warum hat er ihn zu den Sharmas geschickt? Wenn Amir vor einem Monat bei ihnen angefangen hat, dann deckt sich das mit Cariens Aussage: Zu dem Zeitpunkt ungefährhat der unbekannte Mann ihn bedrängt. Es hätte etwas mit anderen Indern hier in der Gegend zu tun , hat sie gesagt. Und das müssen die Sharmas gewesen sein, denn soweit wir wissen, hat er nur ihnen erzählt, dass er eben erst aus Delhi kommt, mutterseelenallein, ein Sikh, der noch niemanden in Amsterdam kennt –«
»Jedenfalls waren die Sharmas offenbar die Letzten, die Amir Singh in der Nacht von Freitag auf Samstag lebend gesehen haben.«
»Für diese Nacht haben sie ein Alibi.«
»Das einer dem anderen gibt.«
»So lange, bis wir einen dazu bringen, etwas anderes zu sagen.« »Also hältst du sie auch für die Mörder?«
»Ich weiß nicht, wen ich für die Mörder halte, dazu ist es zu früh«, sagte der Commissaris. »Es gibt viele Gründe, einen Wagen verschwinden zu lassen, wenn er nicht doch von jemandem gestohlen worden ist, der gar nichts mit dem Mord zu tun hat. Genauso wie es viele Gründe für diesen Mord geben kann. Für jeden Mord. Und sogar für jeden der beiden Mörder einen anderen. Ist die Tatwaffe inzwischen gefunden worden?«
Gallo schüttelte den Kopf »Die Suche rings um das Hausboot hat auch nichts ergeben. Keine Spur von einem Messer, weder in den Mülltonnen noch im Kanal. Die Taucher haben den Grund Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Vielleicht hat der Täter es behalten. Vielleicht hat er es woanders weggeworfen, auf einer Baustelle oder im Wald, zum Beispiel. Vielleicht ist er mit der Fähre gekommen und hat es auf dem Rückweg über Bord fallen lassen, dann liegt es irgendwo im IJ.«
»Zu viele Vielleicht «, sagte Van Leeuwen. »Irgendwann wird die Tatwaffe auftauchen; das ist immer so. Wir werden sie finden, oder jemand wird uns sagen, wo wir suchen müssen. Was haben die Überwachungskameras der Raffinerie aufgenommen?«
»Nichts, was für uns von Belang wäre.«
Van Leeuwen stellte fest, dass er die Flasche noch immer in der Hand hielt, ohne von dem Bier getrunken zu haben. Er war wohl doch kein Alkoholiker, wie er es eine Zeit lang befürchtet hatte. Inden letzten Monaten vor Simones Abreise war kein Abend vergangen, an dem er nicht getrunken hatte, aber seitdem hielt er sich zurück, und es fiel ihm zunehmend leicht. Er trank. Das Bier war nicht mehr kalt, aber es war trotzdem gut. »Eine merkwürdige
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