Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Hände, den Blickwechsel zwischen Pieters und dem Jungen. Er sah die tanzenden Frauen, die Männer mit den Knochen in der durchstoßenen Nasenwand.
Vielleicht war es ein Punker , hatte Gallo bei ihrer allerersten Besprechung nach dem Mord am Sonntagmorgen gesagt, ein kleiner zehnjähriger Punker mit durchstochener Nase. Dem Mädchen – wie hieß sie noch ? Beatrix ? – ist irgendwas in seinem Gesicht aufgefallen, eine Art Piercing.
Oder ein Knochen.
Der Mörder war kein Zehnjähriger, er war nur so klein wie ein Junge von zehn. Alle Eingeborenen, die Van Leeuwen auf dem Video sah, waren kaum größer als ein Junge von zehn, egal, wie alt sie tatsächlich waren. Sie hörten Musik, sie tanzten, sie klatschten, genau wie die Amsterdamer am Koninginnedag.
Auch der junge Schwarze, der Van Leeuwen auf dem Noordermarkt verfolgt hatte, war klein gewesen. Inzwischen hatte der Commissaris keinen Zweifel mehr, dass er ihnen gefolgt war, ihm und seiner Frau. Er hatte sich ihnen genähert, sie beobachtet, sie umschlichen. Simone war plötzlich nicht mehr da gewesen, und Van Leeuwen hatte sie wiedergefunden, vor der Drehorgel, die Penny Lane gespielt hatte.
Manchmal hörte man ein Lied und behielt es im Unterbewusstsein, man summte es oft tagelang vor sich hin, je einfacher es war, desto öfter. Jemand anderer hörte, wie man es summte, und es sprang auf ihn über. Es sprang auf ihn über wie ein Virus, und ersummte es auch. Penny Lane , zum Beispiel. Wie Professor Pieters in seinem Büro, als Van Leeuwen ihn besucht hatte.
Das ist kein Beweis, dachte der Commissaris; das alles ist kein Beweis, nur eine mögliche Verbindung.
»Das erste Kind, das er mit nach Hause brachte, war ein zwölfjähriger Junge vom Stamm der Fore, der ihm bei der Untersuchung und Obduktion einiger Kuru-Patienten geholfen hatte. Ich weiß noch, wie er mit dem Jungen in Australien auf dem Flughafen ankam. Keo trug ein Polohemd, Shorts und Sandalen, alles war ihm viel zu groß, denn die Kleider hatten einem von Josefs Assistenten gehört. Vor dem Weiterflug nach Europa mussten sie erst mal mit ihm in ein Kaufhaus gehen und ihn einkleiden. Nach der Ankunft in Amsterdam meldete Josef Keo in einer exklusiven Privatschule an.«
Ein kalkweißer Gnom in kurzen Hosen.
Plötzlich fiel Van Leeuwen wieder ein, was er vor einigen Wochen im Internet entdeckt und in sein Unterbewusstsein abgelegt hatte, weil ihm damals nicht klar gewesen war, ob er es bei der Suche nach Kevin van Leers Mörder verwenden konnte. Jetzt tat sich eine Stelle im Puzzle auf, an die das Stück passen konnte; an die es vielleicht sogar gehörte.
Bei den Ureinwohnern Neuguineas, hatte er gelesen, vielmehr bei einigen Stämmen der steinzeitlichen Ureinwohner wurden die minderjährigen Jungen durch die körperliche Begegnung mit einem älteren Mann aus ihrem Dorf in die Welt der Erwachsenen eingeführt.
»Danach brachte er im Lauf der letzten Jahre noch über dreißig Kinder nach Europa«, fuhr die Frau aus dem Off fort. »Er finanzierte ihnen die Schule und manchen sogar noch die Universität. Fast sein ganzes Vermögen setzte er dafür ein. Später stellten ihm wohlhabende Freunde und Förderer ein Herrenhaus auf einem riesigen Grundstück am Meer zur Verfügung, in dem die Kinder vorübergehend leben durften. Aber Keo blieb immer etwas Besonderes für Josef, wahrscheinlich weil er der Erste gewesen war.«
Van Leeuwen schaltete den Fernseher aus, er hatte genug gesehen. Es gab zwei Ärzte, dachte er, einen ›Doktor‹, der vielleicht garkein wirklicher Arzt war, sondern nur einen weißen Kittel trug und Kevin mit Drogen beliefert hatte; vor dem hatte er sich aber nicht gefürchtet. Und es gab den anderen, dem Kevin – genau wie Van Leeuwen – nie begegnet wäre, hätte er nicht in der Klinik eines Nachts nach dem ›Doktor‹ gesucht. Dieser andere war der, vor dem der Junge solche Angst gehabt hatte.
Der eine war nun unwichtig, ein Fall für die Drogenfahndung, mehr nicht. Der andere war in zwei Morde verwickelt.
Ich denke, es war Josef Pieters , sagte der Commissaris, als er todmüde neben seiner schlafenden Frau ins Bett sank.
Seine schlafende Frau sagte nichts, sondern wartete darauf, dass er weiterredete.
Er sagte: Ich weiß noch immer nicht, was genau zu Kevins Tod und dann zu dem von Deniz Aylan geführt hat, aber Pieters ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Falls.
Warum denkst du, dass er es war ? , fragte seine schlafende Frau, und es war wie früher, wenn er mit ihr
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