Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Haut zwischen seinen Schulterblättern saß ein Frösteln, das nicht weichen wollte.
Im oberen Stockwerk führte ein breiter Gang zu einem Wintergarten, hinter dessen angelehnten Türen ein weißer Oleandermit halb verdorrten Blüten die Sicht auf den Himmel nahm. Van Leeuwen bewegte sich ruhig durch den Korridor und öffnete jede Tür, an der er vorbeikam. Alle Zimmer, deren Türen er öffnete und schloss, waren leer, aber trotzdem hatte er das Gefühl, als breite sich das Frösteln auf seinem Rücken immer weiter aus.
Was suchst du denn nur in diesem Haus ?, fragte Simone.
Ich suche etwas, das seine Bewohner mit den beiden Morden in Verbindung bringt, antwortete Van Leeuwen. Ich suche Beweise, die mich überzeugen, dass ich auf der richtigen Spur bin. Ich suche Erkenntnisse darüber, was Josef Pieters für eine Rolle spielt; was es mit den Kindern der Kannibalen auf sich hat. Ich suche die Tatwerkzeuge.
Und Simone sagte, aber du weißt doch, dass du nichts von dem, was du da findest, gegen die Verdächtigen verwenden kannst, weil du es auf illegale Weise beschafft hast.
Ja, das weiß ich. Aber trotzdem ...
In Wirklichkeit waren die Zimmer nicht ganz leer, auch das Bad und die Kammern nicht. Im Bad hingen zwei Handtücher und ein zerschlissener Frotteebademantel. Auf der Ablage über dem Waschbecken lagen nur wenige Toilettengegenstände: ein Rasierpinsel, Rasierklingen, ein Kamm, aber es gab weder Deodorant noch Eau de Toilette oder Cremes. Die Seife – ein großes Stück – duftete schwach nach Meersalz.
Van Leeuwen betrat das Zimmer, in dem Pieters zu schlafen schien, was er aus einer schlaffen Luftmatratze auf dem Boden schloss. Daneben lag ein Stapel medizinischer Fachzeitschriften, die alle noch mit dem Adressenetikett beklebt waren. Er öffnete den Kleiderschrank. Es war nicht mehr als ein Metallgestell, umhüllt von einer Wasser abweisenden Plane mit aufknöpfbarem Verschluss. Darin hingen eine Lederjacke mit Lammfellfutter, ein Regenmantel, zwei Safariparkas von Abercrombie & Fitch , mehrere Hosen aus derbem Uniformstoff und ein Rucksack. Oben lagen sorgfältig zusammengefaltete Hemden, Unterhemden und Unterhosen, die meisten khakifarben; unten standen Stiefel mit hohen Stulpen und einige Paar abgenutzte Turnschuhe. Van Leeuwen knöpfte den Verschluss sorgfältig wieder zu.
Auf dem Boden des nächsten Zimmers lagen Bastmatten, ein Schlafsack und unordentlich verstreute Kleidungsstücke, die zu klein für einen Erwachsenen waren. An den Wänden hingen Masken und Totems, genau wie im Erdgeschoss. Getrocknete Hibiskusblüten und Orchideen lagen auf dem Fensterbrett. In einer Ecke lehnte eine mit Fingerfarben kunstvoll bemalte Trommel. An der Tür gab es große Farbfotos von merkwürdig schroff geformten Bergen; von grünen Hügeln und Urwaldbäumen im Nebel. Heimat, dachte der Commissaris; das sollten diese Bilder sagen – willkommen zu Hause.
Er atmete die verbrauchte Luft, versuchte den Geruch zu identifizieren. Er trat ans Fenster, von dem aus man auf die See blicken konnte. Er hob die Trommel hoch; sie war überraschend leicht. Er setzte sich auf den Schlafsack, in dem vielleicht der Mörder geschlafen hatte, und legte sich zurück. Er war zu lang für die Unterlage. Er spürte etwas Hartes unter seinem Kopf, setzte sich auf und hob das Kopfende des Sacks an. Dann knipste er die Taschenlampe an.
Unter dem Kopfende lag eine Axt. Der Griff war mit kunstvollen Verzierungen bedeckt, das Blatt aus messerscharf und papierdünn geschliffenem Stein. Die Schneide war sauber, aber das bedeutete nichts.
So einfach war das also. Der Commissaris hegte keinen Zweifel daran, dass diese Axt bei den beiden Morden auf die eine oder andere Weise benutzt worden war. Da lag sie, und er musste sie liegen lassen. Er konnte sie nicht mitnehmen, nicht gegen seinen Verdächtigen verwenden. Er legte sie wieder unter das Kopfende des Schlafsacks.
Die Stille war so bedrückend, dass er das linke Handgelenk ans Ohr hob, um seine Armbanduhr ticken zu hören. Auf einmal kehrten auch die anderen Geräusche zurück, die es immer gab, sogar hier: das Summen eines Kühlschranks, der sich einschaltete; ein tropfender Wasserhahn; das Rauschen des Meeres und der Wind, der unruhig durch den Garten strich. Dennoch blieb das Gefühl drohender Gefahr, der Gegenwart des Todes.
Der Commissaris ging zurück ins Erdgeschoss, um das Haus auch unten gründlich zu durchsuchen. Noch immer verspürte er das Frösteln, aber nun gesellte sich
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