Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Verdacht, dass Pieters in seiner Steuererklärung falsche Angaben gemacht hat«, antwortete Gallo, »nicht zum ersten Mal übrigens, deswegen fragen die Steuerfahnder regelmäßig bei den Banken und Kreditkarteninstituten seine Kontostände und Geldtransfers ab –«
»Das dürfen die doch gar nicht«, unterbrach Vreeling.
»Ach, nein ? Sie tun’s aber. Wir tun ja auch manchmal ein biss‑
chen mehr, als wir dürfen, oder ? Wie auch immer, jedenfalls hat sei
ne Kreditkartenfirma eine Abbuchung von KLM und so weiter –« »Und wie sind die Steuerfahnder auf die Idee gekommen, dass
uns das interessieren könnte ?«, fragte Van Leeuwen.
»Ich hab’s ihnen gesagt, vor ein paar Wochen schon. Alles, was einen Josef Pieters betrifft ...«
Van Leeuwen spürte, wie das Blut in seinen Adern schneller zu fließen begann. »Und es ist wirklich Keo gewesen ?«
»Der Beschreibung nach. Außerdem lautete das Ticket auf seinen Namen.«
»Ruf die Polizei in Auckland an – und die in Port Moresby auch. Sie sollen den Jungen festhalten.«
Gallo griff nach dem Telefon auf Van Leeuwens Schreibtisch. »Für Neuseeland dürfte es ein bisschen knapp werden, wenn er sofort einen Anschlussflug gekriegt hat. Und selbst wenn nicht, werden die einen Haftbefehl sehen wollen, vom Oberstaatsanwalt unterzeichnet.«
»Und Pieters ist nicht mitgeflogen ?«
»Nein.«
»Dann ist er inzwischen wieder zu Hause.« Der Commissaris folgte seiner Intuition, stieß seinen Stuhl zurück und stand auf. Gleichzeitig öffnete er die Schreibtischschublade, in der die Luger lag. Er nahm die Pistole, überprüfte, ob sie geladen und gesichert war, und steckte sie in die Außentasche seines Trenchcoats, der am Mantelständer hing. »Der Technische Dienst hat bestätigt, dass die Proben, die ich aus Pieters’ Haus mitgenommen habe, von Kevins und Deniz Aylans Mörder stammen. Wenn wir jetzt ganz offiziell die Verbindung zu Pieters und Keo herstellen, kriegen wir auch einen Haftbefehl.«
»Und woher kriegen wir den Durchsuchungsbefehl für Pieters’ Haus?«
Van Leeuwen sagte: »Den brauchen wir nicht. Professor Josef Pieters ist ein Ehrenmann, zumindest in seinen Augen. Jetzt, wo er wieder da ist, wird er nichts dagegen haben, dass wir uns ein bisschen bei ihm umsehen.«
Die drei Dienstwagen der Kriminalpolizei von Amsterdam-Amstelland fuhren schnell. Mit blitzendem Blaulicht und eingeschalteten Sirenen fuhren sie über das flache Land, aber nur wenn Van Leeuwen den Mittelstreifen der Straße betrachtete, spürte er, wie schnell sie fuhren. Die Polder rechts und links glitten dagegen fast träge vorbei, und die Trauerweiden an den Kanälen und die Windmühle am Horizont brauchten noch länger, bis er sie aus den Augen verlor. Aber wenn er wieder auf die Fahrbahn schaute, merkte er, dass der Konvoi dahinraste.
Der Commissaris spürte die Gegenwart der anderen stärker als sonst. Er spürte Ton Gallo neben sich, und er spürte Remko Vreeling und Julika Tambur in seinem Rücken. Die Anspannung umgab alle mit etwas, das man fast berühren konnte; es schmolz den Raum zwischen ihnen zusammen, so stark war es. Niemand sagte etwas. Sie saßen da, und jeder empfand dasselbe, als wären ihre Sinne gleichgeschaltet worden.
»Was ist, wenn er nicht da ist ?«, fragte Gallo, als sie von der Schnellstraße in Richtung Ijsselmeer abbogen.
»Er ist da«, sagte Van Leeuwen.
»Woher weißt du das ?«
»Ich weiß es.«
»Aber was machen wir, wenn er doch nicht da ist ?«
»Dann warten wir.«
»Worauf?«
»Dass er kommt.«
»Das kann lange dauern.«
»Ja.«
»Vielleicht ist er in der Stadt geblieben, um sich heute Abend die ganzen Schwulen und Lesben auf den Grachten anzuschauen.« »Glaube ich nicht.«
Als sie sich Pieters’ Anwesen näherten und die Buchsbaumhecke sahen, die den Blick auf das Ijsselmeer verdeckte, konnte Van Leeuwen erkennen, dass das Tor offen stand. Sie fuhren auf das Grundstück, und dann sah er auch, dass die Jalousien an den Fenstern hochgezogen waren, und er sah einen Rover in der Zufahrt stehen. Sie hielten hinter dem Rover. Sie schalteten die Sirenen und das Blaulicht aus. Es war kurz vor fünf Uhr nachmittags.
Der Commissaris stieg aus. Gefolgt von Hoofdinspecteur Gallo, Inspecteur Vreeling, Brigadier Tambur und acht Agenten in Uniform, ging er auf das Haus zu und stieg die Treppe zum Eingang hinauf. Er klingelte. Die Tür wurde sofort geöffnet. Professor Pieters stand barfuß im Türrahmen. Er trug eine eierschalfarbene
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