Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Leinenhose, ein hellblaues Baumwollhemd und einen geflochtenen Gürtel aus kastanienbraunem Leder. In der Hand hielt er ein halb volles Whiskeyglas.
»Entschuldigen Sie die Störung, Mijnheer Pieters«, sagte Van Leeuwen höflich. »Würden Sie uns den Zutritt zu Ihrem Haus gestatten?«
»Ich bin überrascht«, sagte Pieters, obwohl er ganz und gar nicht
überrascht wirkte. »Worum geht es denn, wenn ich fragen darf ?«
»Wir ermitteln noch immer im Fall der beiden ermordeten Jungen«,sagte Van Leeuwen weiterhin höflich. »Es gibt Verdachtsmomente, die uns zu Ihnen geführt haben.«
»Ich nehme nicht an, dass Sie einen Durchsuchungsbefehl vorweisen können, Mijnheer van Leeuwen«, sagte der Professor genauso höflich.
»Leider nicht.«
»Das dachte ich mir. Aber ich habe nichts zu verbergen. Bitte, kommen Sie herein.« Pieters trat zur Seite und ließ den Commissaris vorbei. Sofort wurde Van Leeuwen von dem feuchten, schwülen Geruch umfangen, der ihm von seinem nächtlichen Besuch in Erinnerung geblieben war. Er hatte das Gefühl, eine Doppelseite aus dem National Geographic zu betreten. Im Nachmittagslicht wirkten die Dschungelpflanzen, mit denen Pieters sein Haus dekoriert hatte, wie ein verzauberter Wald aus Sonne, Spinnweben und Schatten.
Der Commissaris deutete auf die Treppe zum oberen Stockwerk und in die Richtung von Pieters’ Arbeitszimmer. »Da unten der Verschlag, da hinten im Arbeitszimmer der Rollschrank und oben im zweiten Zimmer rechts unter dem Schlafsack.«
Die uniformierten Beamten schwärmten aus. »Sie können einen Anwalt hinzuziehen, wenn Sie wollen«, sagte Van Leeuwen zu dem Professor.
»Das werde ich, das werde ich«, antwortete Pieters gleichmütig. »Ich will nur abwarten, wie weit Sie noch gehen.«
»Professor Pieters verzichtet zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf anwaltlichen Beistand«, sagte der Commissaris zu Julika, die mit einem kleinen Diktiergerät neben ihm stand, um zu protokollieren, welche Beweise an welchem Ort zu welchem Zeitpunkt der Durchsuchung gefunden wurden.
Van Leeuwen beobachtete, wie einer der Beamten die Holztür des Verschlags unter der Treppe öffnete, während zwei weitere in Pieters’ Büro verschwanden. Die Treppe zitterte unter den Schritten der anderen Männer, die ins obere Stockwerk stürmten. »Sind Sie allein ?«, fragte Van Leeuwen den Professor.
»Ja. Jetzt und immerdar.«
Der Commissaris betrachtete Pieters. »Halten Sie das für einen Spaß, das alles hier ? Wo waren Sie in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai ?«
»Sie meinen, am Abend des Koninginnedags ?« Pieters nippte an
seinem Whiskey. »Da bin ich mit einem Haufen vertrottelter Kolle‑
gen der königlichen Familie in Den Haag hinterhergelaufen.« »Und Ihr Adoptivsohn Keo, war der auch dabei ?«
»Nein, warum ?«
»Was hat er an dem Abend gemacht ?«
»Wahrscheinlich mit seinen Freunden gefeiert. Ich lasse ihm die Freiheit, die er gewohnt ist. Bei den Fore gilt man in seinem Alter praktisch schon als Erwachsener. Als ich am nächsten Morgen nach Hause kam, lag er noch im Bett und schlief.«
»Und in der Nacht auf den 8. Juni, wo waren Sie da ?«
Wieder schien Pieters zu überlegen. »Da müsste ich schon die genaue Uhrzeit wissen. Ich arbeite oft bis spät in die Nacht. Vermutlich war ich in der Universitätsklinik oder hier, ich müsste erst nachschauen.«
»Sie waren nicht zufällig vor oder nach der Arbeit beim Westerdok?«
»Was sollte ich denn beim Westerdok ?«
»Und Ihr Sohn, war der auch nicht dort ?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Ich glaube aber, dass er da war, so wie er in der Nacht des Ko ning innedags im Vondelpark war. Ich glaube, er war da, um einen Mord zu begehen, vielmehr zwei, um genau zu sein. An Kevin van Leer und Deniz Aylan.«
Pieters schüttelte den Kopf. Es sah fast tadelnd aus. »Und warum hat er das getan, Ihrer Ansicht nach ?«
»Das würde ich ihn gern selbst fragen.«
»Sehen Sie ihn hier irgendwo ?«
»Nein, ich sehe ihn in Neuguinea bei seinem Stamm.«
Pieters lächelte, zufrieden wie eine Katze, die sich nach einem ausgiebigen Mahl zu putzen beginnt.
»Aber aus Neuguinea kann man ihn zurückholen«, fuhr VanLeeuwen fort. »Auch dort gibt es Behörden, die Haftbefehle ausstellen, und Polizisten, die sie ausführen.«
»Verlangen diese Behörden dort nicht auch Beweise, aufgrund deren sie Amtshilfe leisten ? Wollen sie nicht erst einmal einen Haftbefehl sehen, der von den Behörden hier ausgestellt worden ist ?«
Inspecteur
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