Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
drückte denKorken in den Flaschenhals, stellte die Flasche in den Kühlschrank und ging mit den sicheren Schritten eines Mannes, der trotz allem wusste, was er tat, durch den Korridor ins Schlafzimmer und dann ins Bett.
7
Am Morgen war die Luft warm, wie es sich für Mai gehörte, und als Van Leeuwen das Haus verließ, war das Pflaster schon getrocknet, bis auf die Feuchtigkeit in den Ritzen zwischen den Steinen. Der Wind roch nach dem Meer hinter den Deichen. Die Sonne und das Wasser in der Gracht teilten sich denselben Messingglanz, und die Möwen sichelten blendend weiß über einen Himmel wie aus blauem Porzellan.
Van Leeuwen ging im Schatten der Ulmen die Egelantiersgracht entlang. Das sommerliche Wetter hatte auch auf Ellen einen positiven Einfluss. Vorübergehend versöhnt, war sie pünktlich auf die Minute und wesentlich frischer als er selbst bei ihm aufgetaucht, um ihm seine Frau abzunehmen, bevor sie aufwachte. Er hatte versprechen müssen, diesmal pünktlich heimzukommen oder zumindest anzurufen, falls er sich verspäten sollte, und jetzt, auf der Straße vor seinem Haus, hatte er den Kopf frei für den Mörder vom Vondelpark.
Er ging mit raschen Schritten, ohne zu hasten. Er achtete auf seinen Weg, bemühte sich, alles zu sehen, auch wenn es ihm vertraut war. Die Giebelsteine der Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert spiegelten sich auf der Oberfläche des Kanals. Die Galerien, Druckereien und anderen kleinen Handwerksbetriebe längs der Straße hatten schon die Arbeit aufgenommen. In den Höfen hallten Hammerschläge und Sägen, und wenn der Wind sich legte, roch Van Leeuwen das Aroma frisch gekochten Kaffees. Er fragte sich, ob der Mörder Kaffee mochte und wie er ihn trank.
Er überquerte die kleine Brücke und ging auf der anderen Seite des Kanals weiter bis zur Prinsengracht. Auf den Planken der Hausbootelängs der Kaimauer schimmerten Regenpfützen, und von den Bäumen gefallene Äste hingen an den Ankertauen. Vielleicht wohnte der Mörder auf einem Hausboot. Van Leeuwen versuchte, seine Stadt mit den Augen von jemandem zu sehen, der einen neuen Mord erfunden hatte.
Er ging vorbei an der kleinen Porzellanmanufaktur und an seiner Lieblingsconfiserie, an einem Maleratelier, einem bruin café , einem Blumenladen, einer Werbeagentur und Simones Secondhand-Boutique, alle noch verriegelt und verrammelt. Er ging jetzt schneller, als erwachte mit der Nähe zum Präsidium sein Jagdeifer. Von der Prinsengracht bog er beim Jordaan Garten in die Elandsgracht. Von dort aus konnte er schon die blaue Flagge auf dem Dach des Hoofdbureaus sehen.
Auch heute noch erfüllte ihn der Anblick dieser Fahne, das strahlende Blau der Polizei von Amsterdam-Amstelland, mit Stolz – demselben Stolz, den er schon am ersten Tag seiner Ausbildung verspürt hatte, als er in der Uniform des Aspiranten mit nichts als einem einzigen goldenen Streifen auf dem Schulterstück seines hellblauen Hemds zum Dienst angetreten war. Und dieser Stolz hatte ihn niemals mehr verlassen, während die Zahl der horizontalen Streifen auf den Schulterstücken gewachsen war, zwei für den Rang des Surveillant, dann drei für die Ernennung zum Agent und schließlich vier für die zum Hoofdagent.
Als er Brigadier geworden war, hatten zwei goldene Lorbeerblätter, eine kleine Reichskrone und ein Schwert die Streifen ersetzt, die wiederum am Tag der Beförderung zum Inspecteur einer einzigen goldenen Krone gewichen waren. Die Krone hatte er mit demselben Stolz auf der Schulter getragen wie den einen schlichten Streifen. Jetzt, als Commissaris, begleitete ihn diese Krone – ergänzt durch ein geschwungenes Lorbeerblatt – nur noch, wenn er zu offiziellen Anlässen seine Uniform als Polizeioffizier der Königin anlegte.
Der Stolz jedoch war geblieben. Er schimmerte vielleicht etwas matter, konnte hin und wieder ein bisschen Politur vertragen, aber er war da: geboren aus dem Wissen, etwas Nützliches zu tun.
Drei Minuten später stand der Commissaris unter den ausladendenPlatanen vor dem Tor des Hoofdbureaus an der Elandsgracht 117. Das Präsidium war ein kantiges, wuchtiges Backsteingebäude mit weißen Fensterrahmen und blauen Sonnenblenden, das man von zwei Seiten mit dem Wagen erreichen konnte oder von der Singelgracht aus mit dem Boot. An der Fassade prunkte ein Steinrelief, die Reichskrone, die von zwei Löwen gehalten wurde.
Auf der anderen Straßenseite, hinter dem Busbahnhof, erhob sich das Europarking, ein mehrstöckiges Parkhaus,
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