Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
du ihn uns zeigen ?«
    »Ich weiß nicht.« Esthers Stimme wurde noch dünner. »Eigentlich, also, lieber wär’s mir, ich hätte nichts damit zu tun –«
    »Wir treffen uns um zehn, vor dem Club«, sagte Van Leeuwen schnell. »Hörst du, Esther ? Um zehn –«»Besser um elf«, sagte Esther. »Und nicht direkt vor dem Club. Ein paar Häuser weiter ist ein Coffee-Shop –«
    Van Leeuwen spürte, dass jemand seinen Arm berührte. Er sah auf. Gallo stand vor ihm und fragte: »Wo ist Simone ?«
    »Was ?« Van Leeuwen erschrak. »Um elf im Coffee-Shop !«, rief er und brach das Telefonat ab. »Ich dachte, sie ist bei dir !«
    »Als ich sie zuletzt gesehen habe, stand sie direkt neben dir. Du hast telefoniert, und sie –«
    Der Commissaris hatte das Gefühl, dass sich der Platz um ihn zu drehen begann. Die Gesichter der Passanten flogen vorbei, die beleuchteten Marktstände, die brüllenden Händler. »Simone !« Keines der Gesichter gehörte ihr, ihre schlanke Gestalt tauchte nirgendwo in der Menge auf. Van Leeuwens Blick flog umher, suchte nach der bunten Finnenkappe, dem beigefarbenen Trenchcoat, einem blassen, verängstigten Gesicht. Da war sie wieder, diese dumpfe, wütende Angst, die er den ganzen Tag zu vergessen versucht hatte. »Simone!«
    Auch Gallo rief ihren Namen und tauchte in das Gewühl der Passanten. »Simone !« Er blieb stehen, hielt wahllos Vorbeigehende an, schob sie beiseite, ging weiter.
    Van Leeuwen widerstand dem Impuls, einfach loszulaufen. Er blieb, wo er war, nur seine Augen tauchten in die Gassen zwischen den Buden, fächerten durch die Gesichter, legten ein Raster über die Menge, teilten sie in kleine Quadrate, die er einzeln vergrößerte und wieder schrumpfen ließ, trennten Körper von ihren Schatten. Er spürte, wie sein Herz vor Sorge klein und hart wurde, während es gegen seine Brust hämmerte.
    Er sah sie nicht. Je länger er Ausschau hielt, desto mehr verwischten sich die Gesichter. Er hörte den Leierkastenmann Tulpen aus Amsterdam spielen, und irgendwo hörte er auch Gallo Simones Namen rufen, aber er sah nur die vorbeitreibenden Passanten, die alles Vertraute verloren, je länger er sie betrachtete. Sie veränderten ihre Farbe, ihre Form, ihr Aussehen.
    Eines der Gesichter starrte ihn an. Der Junge bewegte sich mit den anderen, in ihrem Schutz. Er glitt hinter einem der Marktständehervor ins Licht und verschwand wieder im Schatten. Er war klein, aber sogar in der Dunkelheit erkannte der Commissaris, dass er kein Kind mehr war. Nicht zehn oder zwölf, sondern älter. Der Junge ging schnell, und als er Van Leeuwens Blick begegnete, ging er noch schneller, und doch konnte der Commissaris seine Augen sehen, und es waren die Augen eines Jägers, der ein Wild beobachtet, seine Beute.
    Daher kommt die Angst, dachte der Commissaris; es ist nicht Simones Verschwinden, es ist der Junge. Er war im Abbruchhaus, und er war auch im Krankenhaus, und jetzt ist er hier, und wenn du weißt, was er an all diesen Orten gesucht hat, hast du den Schlüssel zu der Tür.
    Der Leierkastenmann spielte ein neues Lied, Penny Lane . Der Junge, eben noch da, war plötzlich verschwunden. Wer bist du ?, dachte Van Leeuwen. Wen hast du beobachtet, mich oder meine Frau ? Woher weißt du, wer ich bin ? Und wenn du weißt, wer ich bin, was willst du von mir ? Willst du mich warnen, oder willst du mir drohen ?
    Die Walze der Drehorgel spulte das Lied ab, und Van Leeuwen schob sich durch das Gedränge zum Hauptportal der Kirche, wo Simone vor dem Leierkasten stand und der Musik zuhörte. »Überraschung«, sagte er. »Das war sehr unvernünftig von dir.« Sie wandte sich ihm zu, und er sah, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war. »Warum weinst du denn ?«, fragte er.
    Natürlich wusste sie es nicht.

 16 
    Über dem Rijksmuseum spannte sich der Himmel wie dunkelblaue Seide. Auf der Stadhouderskade schoben sich die Autos in langen Blechschlangen von Ampel zu Ampel. Bremslichter blinzelten rot durch die Abgasschwaden. Das Blue Note lag in einer Seitenstraße, und der Commissaris ließ Gallo an der Ecke halten und stieg aus, um das letzte Stück zu Fuß zu gehen.
    »Ich gehe zuerst rein«, sagte er. »Ton, du kommst etwas später mit Brigadier Tambur, und du, Vreeling, kommst als Letzter. Wir kennen uns nicht, und ihr unternehmt auch nichts, bis ich es euch sage. Das Mädchen, Esther, vertraut nur mir. Deswegen muss ich mit rein, obwohl die Zielperson mich vielleicht erkennt, falls sie überhaupt kommt. Sobald

Weitere Kostenlose Bücher