Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
verschwitzten bunten Hemden nahm sein Guinness und ging auf Julika zu. Als er bei ihr war, sah er sie an und trank einen langen Schluck. Er sagte etwas zu ihr, aber sie reagierte nicht. Er verzog den Mund zu einem schmalen Grinsen. Er trank noch einen Schluck, dann sagte er wieder etwas. Julika schüttelte den Kopf.
Gallo war noch nicht wieder aufgetaucht, und Vreeling tanzte weiter. Einige Schritte von ihm entfernt stand Esther. Was macht sie denn an der Tanzfläche ?, dachte der Commissaris; sie soll doch an der Tür warten und mir ein Zeichen geben, wenn der Junge auftaucht.
Dann sah er das Zeichen, die Hand, mit der sie sich durchs Haar fuhr. Er sah das Zeichen, und im selben Moment sah er den Jungen.
Der Junge trug einen Hut ohne Krempe, eine Sonnenbrille und einen knöchellangen, beigefarbenen Staubmantel. Unter dem Mantel erkannte Van Leeuwen weiße Sneakers, aber weder Hemd noch Strümpfe. Hut und Sonnenbrille sollten den Jungen älter wirken lassen, aber seine Größe konnte er nicht verändern: etwaein Meter sechzig, Alter zwischen vierzehn und siebzehn, schwarz. Mit federnden Schritten strich er hinter den Zuhörern auf und ab, wie ein Panther im Käfig. Die Schritte verrieten ihn, Van Leeuwen erkannte sie wieder.
Er stellte sich den Jungen ohne seine Kleider vor, nackt bis auf eine kurze Hose, der Körper bemalt mit Kokosnussöl und Kalk, und er hatte seinen Mörder.
Esther drehte sich um und schlenderte zum Ausgang. Vreeling bewegte sich im Rhythmus der Musik auf den Jungen zu. Van Leeuwen stand auf, wandte dem Raum aber weiter den Rücken zu. Er hoffte, dass auch Hoofdinspecteur Gallo den schwarzen Jungen bemerkt hatte und ihm den Weg zur Treppe abschnitt.
Plötzlich gab es Unruhe an der Bar, dort, wo Julika stand. Glas klirrte, und jemand schrie. Der Hooligan stieß einen anderen Gast von seinem Hocker zu Boden und trat auf ihn ein. Julika hielt sich das Gesicht, als wäre sie auch geschlagen worden. Der zweite Hooligan kam dazu, abwechselnd traten sie auf den Liegenden ein.
Der Junge an der Tanzfläche blieb stehen, verharrte wie ein Wildtier, das Gefahr wittert. Er starrte zur Bar hinüber, gerade als Julika den zweiten Hooligan wegstieß, ihren Plastikausweis zückte und dabei » Politie!Politie!« rief.
Das war’s, dachte der Commissaris. Er drehte sich um und versuchte zu retten, was zu retten war.
Die Band setzte wieder ein, die Scheinwerfer strichen mit ihren roten, gelben und blauen Strahlen über die Köpfe des Publikums. Inspecteur Vreeling drängte sich durch die Tänzer zum Rand der Tanzfläche, aber Van Leeuwen konnte nicht sehen, wohin er wollte. Dann entdeckte er den Jungen in der Nähe des Ausgangs.
Der Junge schien unsicher, versuchte offenbar zu begreifen, was vorging. Ob der Zwischenfall etwas mit ihm zu tun hatte. Er wandte Van Leeuwen das Gesicht zu. Er weiß, wer du bist, dachte der Commissaris. Er wusste es schon am Abend auf dem Markt, aber jetzt weiß er auch, weswegen du hier bist, sein Instinkt sagt es ihm. Der Junge drehte sich um und hetzte in großen Sätzen die Treppe hinauf.
»Ton ! Julika ! Er entwischt uns !« Van Leeuwen stürmte los, und das Meer der roten Mützen teilte sich vor ihm. Mit beiden Händen schaufelte er die Hip-Hopper aus seinem Weg. Er lief quer über die spiegelglatte Tanzfläche, seine Mantelschöße flogen. Vor ihm arbeitete sich Vreeling durchs Gedränge und neben ihm Gallo. Beide hatten ihre S I G Sauer gezogen, aber keiner kam schneller vorwärts als er. Er erreichte die Stahltür und dann die Treppe, die Steinstufen, das Trottoir vor dem Club, die Straße.
Die Straße war leer. Er sah sich um, aber die Straße blieb leer. Im Licht der leicht schwankenden Laternen lag sie da, und wieder dachte Van Leeuwen, das war’s also.
»Ich hab’s verbockt«, sagte Brigadier Tambur atemlos hinter ihm. »Das war meine Schuld. Es tut mir so verdammt leid. Ich hab’s total verbockt.«
»Du hast es verbockt«, sagte Inspecteur Vreeling, als er dazukam.
»Ich weiß«, sagte Julika. »Ich weiß, dass ich es verbockt habe.« Gallo verstaute seine Pistole im Gürtelhalfter. »So was passiert«, sagte er.
»Ich komme mir so beschissen vor«, sagte Julika, den Tränen nah.
»So was passiert«, sagte Gallo noch einmal.
Van Leeuwen sagte nichts. Aber er konnte sie auch nicht ansehen, noch nicht. Langsam fand sein Herz zu seinem eigenen Rhythmus zurück, in dem es erst eine Weile schlagen musste, bevor er wieder jemanden ansehen oder mit jemandem
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