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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Leeuwen nahm Simones Hand und zog sie fort vom Kai. »Komm«, sagte er.
    »Venedig«, sagte sie. Sie folgte ihm nur widerwillig, drehte sich mehrmals um. Er hielt sie fest, gab ihr einen Kuss auf die Wange und noch einen auf die Nase. Sie lächelte und reckte ihm ihr Gesicht entgegen. »Eskimos«, sagte sie. Er rieb seine Nase an ihrer, und sie gab ihren Widerstand auf.
    »Sie war immer verrückt nach dem Wasser«, sagte Van Leeuwen zu Gallo. »Als ich sie zum allerersten Mal gesehen habe, ist sie auf ihrem Rad durch einen Platzregen geradelt. Im Sommer konnte sie an keinem Bach und keinem Teich vorbeigehen, ohne hineinzuspringen. Wie ein Otter. Einmal hatten wir ein kleines Haus gemietet, in der Toskana, auf einem Hügel in der Nähe von Siena. An den Hängen unter dem Haus wuchs Wein, und ein schmaler Weg führte zwischen den Rebstöcken hinunter zu einem Fluss, aber ich habe vergessen, wie der hieß. Es war nur ein kleiner Fluss. An der Straße über dem Ufer standen Pinien und Zypressen, und dann ging man durch Huflattich hinunter zum Wasser. Es war ein heißer August, die Sonne schien jeden Tag, und wir gingen morgens aus dem Haus, den staubigen Weg hinunter und verbrachten den Tag an einer Biegung des Flusses. Wir hatten immer einen Picknickkorb mit Wein, Schinken, Käse und Weißbrot dabei, der biszum Abend reichte. Den Weißwein stellten wir in das kühle, klare Wasser, und wenn wir nicht damit beschäftigt waren, verrückte Sachen anzustellen, legten wir uns einfach in den Fluss. Wir lagen da, den Wein in Reichweite, und beobachteten die Libellen, die über dem Schilf standen, blau schimmernd in der Sonne, während die Strömung dicht an unseren Ohren flüsterte und schmatzte wie ein großes, zufriedenes Tier.«
    Er drückte Simone an sich. »Sie konnte den halben Tag so im Wasser liegen, auf dem Rücken, und wenn sie aufstand, schüttelte sie eine Kaskade glitzernder Tropfen in den Sonnenschein. Am Abend gingen wir dann in die Stadt. Warst du schon mal in Siena, Ton ? Die Stadt liegt auf einem Hügel, umgeben von uralten Mauern. Ihre Türme ragen streng und eckig in den Himmel, und im Sommer ist der Horizont am Abend noch lange hell, während sich in der Ebene schon die Nacht sammelt wie Rauch, der dann langsam aufsteigt zu den Mauern und den Türmen. Das ist ein schöner Anblick, auch das anheimelnde Licht in den engen Gassen und den winzigen Fenstern. Simone konnte gar nicht genug kriegen von Siena.« Van Leeuwen blickte seine Frau an. »Weißt du noch, der Sommer damals in der Toskana ? Wie wir nachts palio gespielt haben, auf dem schiefen Platz ?«
    Simone nickte, als könnte sie sich daran erinnern, wenn sie auch sonst alles vergessen hatte. Sie griff nach seiner Hand, ließ sie aber einige Schritte später wieder los.
    Über den Dächern Amsterdams begann die kurze Dämmerung eines Frühlingsabends. Der Himmel verfärbte sich zu einem rosigen Blau, in das schnell das Graugrün der Nacht sickerte. Auf den Brücken der Gracht sprang gelbes Licht von Laterne zu Laterne, und die Fenster der Häuser schwebten noch eine Zeit lang wie weiße Vierecke in der Luft, während die Mauern mit der Dunkelheit verschmolzen.
    Sie gingen an der Gracht entlang, bis sie den Noordermarkt erreichten. Unter der Brücke an der Brouwersgracht hing violetter Dunst. Im Schatten der schroff aufragenden Kirche mit ihren wuchtigen braunen Mauern drängten sich Passanten zwischenden Ständen. Die weißen Glockengiebel der umstehenden Häuser säumten den Platz wie eine steinerne Borte.
    »Pass auf, dass du nicht verloren gehst«, sagte Van Leeuwen. Simone griff wieder nach seiner Hand, beunruhigt von den vielen Menschen. Ihr Gesicht zeigte Neugier, aber auch einen ersten Anflug von Panik.
    Der ganze Platz roch nach brennender Holzkohle, nach scharf Gebratenem, Zwiebeln und Knoblauch. Im dunstigen Licht der Glühlampen an den Marktbuden tanzten die ersten Mücken. Fliegen summten über saftigem Fleisch und silbrigen Fischen auf blutbespritztem Eis. Fasane hingen in Bündeln an blank polierten Stahlhaken und äugten auf schlanke Hasen hinunter, die – lang gestreckt – im Tod noch zu rennen schienen. Pyramiden von Käse, Obst und Gemüse türmten sich unter den Markisen der Stände und Verkaufskarren. Daneben Berge von Austern, Muscheln oder Schnecken, das rote Schalengewirr lebender Hummer in wassergefüllten Eimern. Ofenfrisches Brot, Wein, Honig, alles lockte verführerisch, und Simone blieb immer wieder stehen, gebannt von der

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