Und was, wenn ich mitkomme?
seien? Kultur, Sport, Religion oder anderes?
»Anderes«, spricht Pit für uns beide.
Das Mädel wiegt den Kopf hin und her.
»Gebt lieber Religion an, dann bekommt ihr eine viel eindrucksvollere Compostela«, schlägt sie vor, ist dann aber ziemlich sprachlos, als dieser Rat bei Pit und mir nur breites Grinsen auslöst.
»Die haben wir schon«, erklären wir und kommen uns dabei einfach großartig vor.
Ach, was ist schon eine Urkunde im Vergleich zu all unseren Erfahrungen und Erinnerungen. Trotzdem nehmen wir stolz das DIN A 4-Dokument entgegen. Es zeigt das Bild einer goldenen Jakobusstatue in der Mitte, einen Pilgerstab mit Muschel und Wasserkalebasse auf der rechten Seite und ein Kleeblattkreuz mit nach unten spitz zulaufendem Balken auf der linken Seite. Und über allem wird uns in lateinischer Sprache und verschnörkelter Schrift bestätigt, dass wir tatsächlich den Weg nach Santiago de Compostela nicht nur auf uns genommen, sondern sogar geschafft haben. Ganz unten trägt die junge Pilgerbüro-Mitarbeiterin das Datum ein: 10. Juni 2008, und darunter auf rotem Balken unsere Namen. Wir sind glücklich wie kleine Kinder zu Weihnachten. Und als wir aus dem Pilgerbüro auf die Straße treten, legt Pit seinen Arm um meine Schulter und strahlt: »Sag selber, der Weg hat sich gelohnt, was?«
Klar hat er das!
Hätte uns vor Beginn des Abenteuers jemand gesagt, was auf uns zukommt, wir hätten uns vielleicht niemals auf den Weg gemacht. Aber jetzt sind wir einfach nur froh und dankbar, dass wir es zusammen gewagt haben.
Mit unserer respektlos zusammengefalteten Compostela im Ministoffbeutel, den ich immer für die wesentlichen Dinge des Lebens wie Geldbörse, Tagebuch, Kuli, Sonnencreme und Wörterbuch bei mir habe, flanieren wir noch ein bisschen durch Santiagos Geschäftsmeile und erstehen für jeden von uns ein nagelneues und schickes T-Shirt. Die alten stopfen wir bei Antonio und Elena in den Papierkorb. Und dann setzen wir uns auf hohe Barhocker zu unseren Gastgebern und einigen anderen Gästen an die Theke, lassen uns von Antonio Whiskey und Sherry servieren und von Elena kleine Snacks aus scharfem Paprika in Meersalzkruste, mildem Jamon (Schinken) und würzigem Käse auf knusprigem Weißbrot, hören uns spanische Lebensgeschichten an und haben es miteinander so gut wie im Kreis alter Freunde. Es wird spät, bis wir schließlich die Treppe hinauf in unser Zimmer steigen. Aber Schluss ist noch lange nicht. Es ist einfach zu schön, zusammen zu sein...
58. — 59. TAG SANTIAGO DE COMPOSTELA
Aus Evas Tagebuch:
Wir freuen uns auf zu Hause. Wir haben das Gefühl, uns ausgelaufen zu haben. Das Wesentliche ist gesagt, das Entscheidende erlebt. Wir haben neue Nähe gefunden. Jetzt sehnen wir uns nach unseren Kindern.
Wir sitzen in einem Park in der Nähe unseres hostals mit Blick auf die Kathedrale, deren ockerfarbene Sandsteinfassade golden im Sonnenschein leuchtet. Um zwölf Uhr haben wir noch einmal die Pilgermesse besucht. Leider wurde nicht wie beim letzten Mal »Großer Gott, wir loben dich« gesungen. Aber das Lob klingt in meinem Herzen so laut, dass ich denke, es könnte jeder hören.
Wir bummeln um die Kirche herum, setzen uns in Straßencafés, beobachten die Leute und lauschen dem virtuosen Gitarrenspiel eines jungen Straßenmusikers. In unserem hostal kocht Elena ein leckeres Essen für uns. In unserem Zimmer halten wir eng umschlungen unter kühlen Laken ganz nach spanischer Sitte eine ausgedehnte Siesta.
Danach, beim Bummel durch die Stadt, kaufe ich mir ein weißes Leinenkleid mit schwarzen aufgestickten Perlen an Saum und Taille und behalte es gleich an. Es fühlt sich fremd, aber auch unglaublich schick an. Wir essen Eis und trinken im blauweißen Hinterhof unseres hostals Bier und Wein. Wir reden über die vergangenen zwei Monate und über das, was anders geworden ist für uns und unsere Beziehung und über das, was noch anders werden könnte. Wer weiß, vielleicht haben wir den Mut für einen weiteren großen Schritt. Es wird Zeit, die äußeren Bedingungen den inneren Entwicklungen anzupassen. Wir haben viel mehr, als wir brauchen, aber noch längst nicht das, was uns guttut. Ich möchte Wasser — keinen kleinen Gartentümpel, sondern vielleicht einen Badeteich, der mich einhüllt und in dem ich mich getragen und mich selbst ohne Schmerzen fühlen kann. Pit möchte Zeit haben und sie nicht an die Wartung eines zu großen Hauses und das Mähen einer unnötigen Rasenfläche vergeuden.
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