Und was, wenn ich mitkomme?
Schönheiten der Welt. An diesem Abend konnte ich diese Eigenschaft von ihm aus vollem Herzen würdigen und seinen Ermunterungen ganz ohne Widerstand folgen, obwohl es mir mittlerweile gar nicht mehr gut ging. Meine Leisten schmerzten, und ich hatte wieder einmal das Gefühl, mein Körper hätte nichts Besseres zu tun, als gegen mich zu arbeiten. Wie sehr sehnte ich mich nach einer Dusche. Aber das Gespräch mit Pit tat gut — sein Verständnis, sein Zugewandtsein und vor allem, dass er meine Beschwerden ernst nahm und sie mir nicht auszureden versuchte.
Und so konnten wir, obwohl wir einen langen und mindestens 400 Meter hohen Aufstieg zu bewältigen hatten, miteinander die friedliche Stimmung genießen. Ohne dieses Missgeschick in Leiro hätten wir niemals einen so schönen und beziehungsnahen Wanderabend erlebt. Wie Unvorhergesehenes doch zu besonderen Erlebnissen fuhren kann, vorausgesetzt man lässt sich — ungeachtet der momentanen Gegebenheiten — darauf ein und gestaltet die Situation für sich so, dass man sich trotz allem aufgehoben fühlen kann. Diesmal gelang uns das miteinander.
Fröhlich und stolz trafen wir schließlich gegen halb zehn in Bruma ein. 36 Kilometer — geschafft! Und was für ein Willkommen: Ein englisches Paar empfing uns wie gute alte Freunde. Und Christoph kullerten fast die Augen aus dem Kopf, als er vom Duschen kam und uns am holzgetäfelten Tisch sitzen sah. Das gab ein freudiges Hallo. Selbst das Ehepaar, das sich um diese Herberge kümmerte, kam noch zu später Stunde und bot uns menu del día an. Dankend lehnten wir ab, freuten uns aber über reichlich frische Milch, die uns die hospitalera servierte. Und dann duschen, Ohrstöpsel rein und ab in die Falle. Wegen meiner schmerzenden Beine und Leisten gönnte ich mir ausnahmsweise mal ein Aspirin und konnte tatsächlich überraschend gut und tief schlafen.
Und heute?
Heute haben wir den Tag verbummelt. Wir stehen erst nach neun Uhr auf. Ausnahmsweise können wir noch eine Nacht bleiben, was in den Pilgerherbergen normalerweise nur in Krankheitsfällen möglich ist. Aber unsere netten Herbergseltern drücken alle Augen zu. Gelegenheit, einfach mal bloß zu faulenzen. Schließlich müssen wir noch längst nicht in Santiago sein. Und die Herberge ist schön: ein altes trutziges Gemäuer mit gemütlichem Innenleben. Wände und Decke sind aus honiggelbem Holz, im Gemeinschaftsraum stehen ein stabiler Tisch und bunte Klappstühle, und im Schlafsaal, der sich direkt an den Wohnraum anschließt, gibt es Stockbetten mit weichen Decken auf den Matratzen. Die sanitären Anlagen sind sauber und sehr gepflegt. Und billig ist die Herberge obendrein.
Allerdings liegt in diesem Nest der Hund begraben. Carlos, der hospitalero, fährt uns denn auch über staubige Landstraßen zwischen Feldern, die sich wie ausgewalzt bis zum Horizont hinziehen, in den zwei Kilometer entfernt liegen Ort Meson de Vento, wo wir einkaufen und café con leche trinken. Mehr gibt es dort nicht zu sehen oder zu tun, weshalb wir gemütlich zurückwandern. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint. Vor unserer Herberge breiten wir unsere Bibabutzemänner im Gras aus im Schatten einer knorrigen Weide, die ihre Äste wie grünes Elfenhaar in einen munter murmelnden Bach hängen lässt. Wir rollen unsere Schlafsäcke auf unseren Capes aus und lassen uns auf diesem Lager im Freien nieder, nur, um die Zeit zu verträumen. In Gedanken richten wir unser Fantasiehaus ein, gehen Teilstücke des Caminos ab, lauschen dem Summen der Bienen und dösen vor uns hin.
Am Abend spazieren wir noch einmal ins Nachbardorf zum Abendessen. Carlos kutschiert zwei weitere Gäste, Briten aus Jersey, hinter uns her. Wir verbringen einen lustigen Abend miteinander. Es macht Spaß, wieder ein bisschen Kontakt zu haben, und Pit genießt es, Englisch zu sprechen. Er bekommt ein dickes Kompliment für seine Sprachkenntnisse. Auch ich komme ganz gut zurecht. Zu viert machen wir uns unter leuchtendem Abendrot auf den Weg zurück zur Herberge. Was für ein entspannter und erholsamer Tag!
55. TAG BRUMA — ORDES
Aus Evas Tagebuch:
Ich habe einen kleinen vino de la casa -Schwips. Es ist drei Uhr nachmittags, und wir kommen gerade vom menu del dia aus der Bar, die auch gleichzeitig ein hostal ist, in dem wir für 20 Euro die Nacht eingecheckt haben. Meine Socken sind während des Essens ans dem Fenster gefallen — ich hatte sie zum Lüften über die Fensterbank gehängt. Aber alles null Problema: Die
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