Und was, wenn ich mitkomme?
aufgehört zu regnen, aber begeistert bin ich von dem serpentinenartigen Aufstieg trotzdem nicht. Schließlich muss ich da morgen früh wieder runter.
»Heute denken wir noch nicht an morgen«, tröstet mich Doris. Recht hat sie, denn was wir vorfinden, lohnt alle Mühe.
Die Herberge ist fantastisch, ganz aus Natursteinen gemauert, innen im Gemeinschaftsraum eine rot gestrichene Wand, eine sehr moderne Küche, kleine Fensterchen, die in dem dicken, alten Gemäuer wie Schießscharten wirken. Wir bekommen ein winziges, blau gestrichenes Zimmer mit zwei Stockbetten zugewiesen. Die Toilette ist zwar bloß mit einer Schwingtür ähnlich den Saloontüren im Wilden Westen ausgestattet. Aber was macht das schon, wo wir ohnehin unter uns sind. Denken wir jedenfalls.
Wir sitzen bereits hinter dem Haus in Sonne und Wind auf Steinbänken an Steintischen, spielen 10 000, ein nicht sonderlich anspruchsvolles Würfelspiel, und genießen mal wieder die tolle Aussicht. So, wie es hier aussieht, stelle ich mir die Highlands in Irland vor: grüne Weite auf hohen Steilküsten, Meer wie gebürsteter Stahl, der Himmel ein gespanntes Laken... Da tauchen plötzlich die Kanadier auf. Ob die sich jetzt noch in unser Zimmerchen quetschen müssen? Nein, sie bekommen eine Unterkunft im Haus nebenan. Wir atmen erleichtert auf, erstens, weil Jean-Paul ein richtig lauter Schnarcher ist, zweitens, weil es nur vier Schlafgelegenheiten gibt und für eine fünfte Person eine Matratze auf den Boden gelegt werden müsste, und drittens: Schlafen ist eine ziemlich intime Angelegenheit. Kein schöner Gedanke, dass Fremde jeden Schnaufer oder — noch schlimmer — ein entspanntes Lüftchen von einem mitbekommen könnten. So nett wir unsere beiden Mitwanderer auch finden, wir sind heilfroh, in dieser Nacht unter uns zu bleiben.
Um das Haus weht ein eisiger Wind. Es ist lausig kalt hier oben, und bis zum Abendessen dauert es noch mindestens eine Stunde. Wir können uns aber nicht losreißen von der Schönheit der Gegend und beschließen, draußen zu bleiben. Doris hat eine Idee, wie sie der Kälte begegnen könnte: Sie holt ihren Schlafsack und krabbelt hinein. So sitzt sie hübsch eingekuschelt auf der kalten Steinbank. Ein originelles Fotomotiv. Pit ruft auch gleich: »Foooooto.« Mehr ist ohne Apparat nicht drin. Gespielt wird jetzt nicht mehr, denn Rachel und Jean-Paul gesellen sich zu uns. Es wird noch ein richtig lustiger Abend.
5. TAG ZUMAIA — DEBA
Wächst die Liebe mit dem Glück oder findet die Liebe im Glück bloß leichter ihren Ausdruck? Vor unserer Reise hat mir meine Ehe so gut wie gar keinen Spaß mehr gemacht. Jeder von uns beiden wurschtelte vor sich hin und lebte seinen Alltag für sich, und es wurde immer schwerer, einen Weg zueinander zu finden. Nach fast 28 Ehejahren ist das bestimmt keine Ausnahme. Viele meinten, wir könnten stolz darauf sein, es überhaupt so lange miteinander ausgehalten zu haben. Aber die übliche Scheidungsrate ist für mich kein Maßstab. Eigentlich wollte ich mit Pit zusammenleben, bis dass der Tod uns scheidet. Er ist der Mann, mit dem ich alt werden wollte. Und gerade fange ich an, mir genau das wieder zu wünschen. Das Schöne und das Glück, das ich hier erlebe, berühren mich so tief, dass ich auch meine Beziehung in einem ganz neuen Licht sehe. Plötzlich freue ich mich wieder an meinem Mann. Er ist so fröhlich, so aufmerksam und zugewandt. War er das zu Hause auch, und ich habe es bloß nicht bemerkt? Da sind gar keine Schutzreaktionen mehr. Auch das macht die Liebe leichter!
Pit ist so ausgelassen wie lange nicht mehr. Beim Frühstück fällt ihm ein herrlicher Blödsinn ein: Doris, Pit und ich sitzen zusammen mit Rachel und Jean-Paul an dem langen Tisch in unserer Herberge. Hier drinnen ist es wegen der kleinen Fenster und der dicken Mauern frostig wie in einem Kühlschrank. Pit und ich legen unsere Thermokissen auf unsere Stühle, damit wenigstens der Hintern warm bleibt. »What’s that?«, will Rachel wissen, die so einen silbern glitzernden Untersatz noch nie gesehen hat. Pit tut sehr wichtig und sagt in Englisch, dass dies eine besondere Erfindung der deutschen Raumfahrttechnik sei. Nun ist auch Jean-Pauls Interesse geweckt. Mit offenem Mund hört er zu, während Pit erklärt, dass solche Kissen in die Raumanzüge der Astronauten eingearbeitet werden. Jeder wisse schließlich, wie eisig es im Weltraum sei, und diese Erfindung sorge dafür, dass die Astronauten sich während ihrer
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