Und was, wenn ich mitkomme?
Außenarbeiten nicht ihren Astronautenpopo unterkühlten. »Really?«, staunt Jean-Paul. Pit bestätigt tiefernst, während Doris und mir vor unterdrücktem Lachen die Tränen in die Augen steigen. Jean-Paul und Rachel kommen aus dem Staunen gar nicht heraus. Nein, was sind die Deutschen doch für einfallsreiche Erfinder! Grinsend zieht Pit mit dem Zeigefinger sein unteres Augenlid herunter. Und da schließlich merkt Rachel, dass er sie bloß auf den Arm genommen hat. »Jean-Paul, it’s a joke!«, schreit sie, und dann prusten wir alle los.
Die Kanadier brechen vor uns auf. Wir lassen uns Zeit, denn heute haben wir bloß ca. 13 Kilometer vor uns. Das klingt nicht nach viel. Aber auf diesem Weg geht es nicht so sehr um die zurückgelegten Kilometer als vielmehr um die Höhen, die es zu überwinden gilt. Ständig müssen wir rauf und runter. Von wegen schöner, gemütlicher Küstenwanderweg, nein, hier wird richtig schweißtreibend gerackert.
Der Weg ist unglaublich schön. Es geht über saftig grüne Wiesen, und es kommt uns wieder einmal so vor, als erwanderten wir das Allgäu. Die große Überraschung dabei ist das Meer, das sich plötzlich hinter einer Wegbiegung zeigt. Es lässt sich gut laufen, obwohl ich nach zwei Stunden völlig nass geschwitzt bin. Der Wind kühlt uns herrlich ab, und ich bin froh, dass mein Knie Ruhe gibt. Heute Morgen habe ich es mit allen Elastikbinden, die meine kleine Reiseapotheke hergab, umwickelt, um ihm ein bisschen mehr Stabilität zu geben. Vielleicht hilft es ja!
In Itziar, einem winzigen, mittelalterlich anmutenden Ort, machen wir Pause in einer Bar. Wir bestellen bocadillos — dick mit Schinken, Käse und Tomaten oder Gurken belegte Baguettebrötchen — und café con leche, den wir hier in Spanien unheimlich lecker finden. Zu Hause trinke ich meinen Kaffee ausnahmslos tiefschwarz, ohne alles, schließlich will ich mir ja nicht den Geschmack verderben. Aber an den café con leche kann man sich gewöhnen, und allmählich ist er unvermeidlich geworden — keine Einkehr mehr ohne das köstliche und heiß begehrte Getränk. So also auch hier.
In der Bar wimmelt es von festlich gekleideten Spaniern, die sehr fröhlich und laut durcheinanderschwatzen. Eine Spanierin spricht ein bisschen deutsch, und wir kommen ins Gespräch. Der Kontakt mit den Einheimischen ist sehr nett. Sie geben uns das Gefühl, dass wir etwas Besonderes sind. Wir werden ausgequetscht wie reife Früchte, und im Gegenzug hören wir uns an, warum unser Gesprächspartner so gut deutsch spricht, was er alles von Deutschland kennt und weiß und wo in Deutschland er Verwandte wohnen hat. Alles irrsinnig interessant... und es macht auch irgendwie Spaß.
Wie die Flut der Schickgekleideten hereingeschwappt ist, so verebbt sie auch. Mit einem Schlag sitzen wir allein in der Bar. Da kehrt plötzlich unsere deutsch sprechende Spanierin zurück. Ob wir ein bisschen Zeit hätten, will sie wissen, und ob uns die Kirche interessieren würde. Ja, schon, aber die war vorhin, als wir sie besichtigen wollten, verriegelt und verrammelt, so wie die meisten Kirchen hier am Weg. Doch jetzt bietet sich uns eine Gelegenheit. Die Spanierin lädt uns ein, an einer privaten Messe teilzunehmen. Es wird eine Silberhochzeit gefeiert. Es gibt einen tollen Chor, der schon wer weiß wo öffentlich aufgetreten ist und wirklich gut singt. Also, ob wir wollen? Na, klar doch!
Wir schlingen die Reste unserer bocadillos hinunter, zahlen unsere Rechnung, schultern unsere Rucksäcke und stapfen, verschwitzt und lumpig wie wir sind, in die Kirche, wo die festliche Gesellschaft schon ihre Plätze eingenommen hat. Wir verteilen uns still in die Bänke und warten auf das, was kommt. Und das ist überwältigend. Als der Chor mit dem ersten Ave Maria beginnt, habe ich das Gefühl, plötzlich in den Himmel versetzt zu sein. Sie singen wie Engel, und vor lauter Ergriffenheit laufen mir die Tränen über das Gesicht. Niemand stört sich daran, und später erzählen Doris und Pit, dass es ihnen genauso ergangen ist. Am Ende der Messe sprechen sich alle gegenseitig den Segen Gottes zu. Auch wir werden mit einbezogen. Als mir völlig fremde Menschen die Hand reichen, kommt es mir vor, als würde Gott selbst mich berühren.
Ich lebe seit über 30 Jahren mit Gott. Das ist eine lange Zeit, in der eine Beziehung, auch eine Gottesbeziehung, sich abnutzen kann. Trotzdem bin ich immer noch überwältigt, wenn ich Gottes Gegenwart so zu spüren bekomme wie gerade an
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