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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kemmler
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bleibt. Und dafür ist Lesen ja da.
    Es ist ein wunderbares Gefühl, zu schreiben, trotz des Inhalts. Eigentlich hatte ich ja vermutet, nach Aufzählung aller meiner Irrfahrten würde in mir das Gefühl einer Niederlage oder eines Verlusts entstehen. Doch muss ich erstaunt feststellen, dass die Scherben aller meiner Pläne ein hübsches Mosaik ergeben. Ich habe zwar keine Ahnung, was es zeigt, aber farblich finde ich es sehr ansprechend. Mit den Worten des großen Dichters Leonard Cohen: »And even though it all went wrong, I’ll stand before the Lord of Song, with nothing on my tongue but Halleluja.«
    Vielleicht sollte man sich generell mehr daran erbauen, was man alles verbockt hat! Das Wollen, das Werdenwollen und das Werden sind eben drei Paar Stiefel.
     
 
    Ein Dilemma gibt es allerdings, dem ich nun zum Ende nicht entrinne. Es steht einfach bei Misserfolgen immer sofort und unausgesprochen die oberlehrerhafte Frage im Raum: »Und, was hast du jetzt daraus gelernt?«
    Natürlich wäre das der ideale Zeitpunkt, um mit einem Fazit aufzuwarten, das alles erklärt, alles zu Gold macht, immerwährenden inneren Frieden verspricht und rosarote Elefanten zwitschernd von Baum zu Baum flattern lässt. Aber jeder, der aufmerksam verfolgt hat, welchen Weg ich gegangen bin, muss mit mir zu der Auffassung gelangt sein, dass ich nicht der Richtige für eine Antwort bin. Ich kann nicht gleichzeitig sein und darüber Bescheid wissen. Herz sticht, wie man beim Schafkopf sagt, nicht Hirn. Das Leben ab der Geburt ist der Film, der vor dem Tod an einem vorüberzieht, in Echtzeit, und da will ich nicht dauernd reinquatschen, sondern ihn mir in Ruhe bis zum Schluss anschauen.
    Penelope, der Frau, mit der ich sieben Sekunden gemeinsam verbracht habe, wollte ich hiermit zeigen, was ich alles nicht geworden bin. Aber all diese Dinge bin ich nicht wegen ihr nicht geworden. Auch nicht wegen anderen. Zwar fast immer für Menschen, die ich liebte und liebe, aber niemals wegen ihnen.
    Wenn es überhaupt etwas gibt, was sich zusammenfassend über mein Leben sagen lässt, dann wäre das etwas in der Art von: »Sieben Sekunden sind länger als vierzig Jahre.«
    Wenn das schlau ist, bin ich aus mir schlau geworden. Ich persönlich zweifle zu Recht daran. Außerdem gebe ich gerne zu, dass es mir egal ist. Denn das, was ich will, hat mit all dem, was ich kann, sowieso nichts zu tun. Es kann nicht erlernt werden, auch nicht durch Leben. Es kann nur erlebt werden.
    Was ich suche, seit langer Zeit, ist der Zustand, den Tom Waits in seinem Song »Tango Till They’re Sore« mit den Worten beschreibt: »Let me fall out of the window with confetti in my hair«.
    Ich möchte mit Konfetti im Haar aus dem Fenster fallen. Immer wieder. Das geht nicht immer, aber Tango ist auch kein ausschließlich fröhlicher Tanz, sondern einer, der seinen Optimismus in Melancholie kleidet. Und tanzen kann man Tango nur zu zweit. Deswegen würde ich gerne nach Hause, zu Penelope.
    Aber Penelope weilt derzeit nicht auf Ithaka, also ist sie nicht zu Hause, und ich bezweifle, dass dieses Buch daran etwas ändern kann. Außerdem würde ich es nie wagen, einer Frau etwas zu bieten, das wäre billig. Ich habe ja auch nichts zu bieten - gebe aber zu bedenken, in nichts passt viel hinein.
    Natürlich gefallen mir der Gedanke und die Hoffnung, dass sie eines schönen Tages aufwacht und entlang ihrer tarantinoschen Goldader mich in sieben Sekunden entdeckt, die länger sind als all ihre Zeit.
    Aber man weiß nie, wo man bei Goldadern landet, ebenso wenig wie bei Irrfahrten. Sonst wären es ja Fahrten, und über Fahrten kann ich nicht schreiben.
    Das ist generell der Nachteil des Schreibens, ich kann nur darüber berichten, was ich nicht bin. Was ich bin, steht zwischen den Zeilen. Und zu zeigen, was ich bin, geht auch nicht in Worten, dafür sind sie zu begrenzt. Vielleicht geht es mit Musik. Vielleicht mit einem Song.
    Es wird wohl höchste Zeit, endlich Gitarre spielen zu lernen.
     

epilog
     
    Ich sitze im Jagd- und Fischereimuseum neben meinem fünfjährigen Neffen. Wollen wir ihn Glaukos nennen, wegen seiner Affinität zu Fischen. Glaukos und ich sehen eine Dokumentation über Jäger. Da bei ihm zu Hause die Dauer des Fernschauens streng reglementiert ist, hat sich für ihn diese Doku als das Pièce de Résistance des gesamten Museums erwiesen. Er wollte sie bis zum Ende sehen, was unsere Verwandtschaft belegt. Die ausgestopften Tiere waren in Ordnung, die Wummen nicht

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