Und was wirst du, wenn ich gross bin
Afrika leben. Außerdem will er nur deshalb Tiger sein, weil ich gesagt hab, die sind größer und stärker als Löwen. Obwohl eigentlich die Löwen Könige der Tiere sind, aber der König ist nicht der Stärkste, nur weil er König ist, sagt mein Papa. Der ist Psychologe.
Ich weiß das alles, weil ich der Forscher bin. Forscher finden heraus, was Tiere machen, wenn sie Hunger haben oder Durst oder wenn sie sich vermehren. Viele Tiere sind Jäger. Ich hab auch ein Gewehr, wie die Jäger im Wald, aber meines ist bloß mit Betäubungspfeilen, weil ich nämlich Tiere mag.
Das Meer mag ich auch. Schnorcheln ist toll. Vielleicht werde ich auch Jacques Cousteau. Ich habe drei Bücher von Cousteau. Eines über Haie, eines über Oktopusse und eines über Cousteau.
Oktopusse nennen manche auch Tintenfische, dabei heißen Tintenfische eigentlich Kalmare, so ähnlich wie die Calamari Fritti beim Quo Vadis in der Pizzeria. Das weiß ich aus dem Buch. Cousteau hat auch ein eigenes Schiff, die Calypso, damit fährt er über die sieben Meere und taucht. Und er ist auch so was wie Kapitän auf seinem Schiff. Der kann hinfahren, wo er will.
Meine Tante will jetzt nicht mehr Elefant sein, sie will Gazelle sein. Mein Bruder will sie jagen, und fragt mich, was er sein soll. Ich schau im Grzimek-Album nach und sage, Gepard sein wär gut, der ist das schnellste Säugetier. Meine Tante schaut nach, weil sie kann schon lesen, und sie liest vor: Der Gepard kann hundertzwölf Stundenkilometer schnell laufen.
Aber bevor der Gepard die Gazelle fangen kann, gibt’s Essen. Meine Oma hat Dampfnudeln gemacht. Eigentlich sind Geparden Fleischfresser, aber mein Bruder überholt sogar die Gazelle auf dem Weg zum Esstisch. Ich bin Letzter, aber ich schaffe die meisten Dampfnudeln, und zwar vier und noch eine halbe von meinem Opa. Das Tier, was am meisten essen kann, ist der Pottwal, der kann riesige Calamari essen.
Am Nachmittag will mein Bruder nicht mehr Forscher spielen, sondern Boccia. Dabei kann man gar nicht Bocciaspieler werden, wenn man groß ist. Aber mein Bruder ist auch gerade erst vier geworden. Ich bin schon fünfeinhalb und schon lang kein Baby mehr, und ich weiß genau, was ich mal werden will, wenn ich groß bin.
2
olympionike
Meine durchwachsene Karriere als Sportler begann im Alter von sechs Jahren und mit einem Triumph. Dieser sollte jedoch nicht ganz über die Umstände hinwegtäuschen, unter denen er zustande kam. Austragungsort der Wettkämpfe war ein an der Amper gelegenes FKK-Gelände, an dem meine Großeltern einen festen Wohnwagen unterhielten. Es war mein erstes Wochenende dort, in einem heißen Juni.
Bis zur Ankunft blieb ich erstaunlich ruhig, das Konzept der Freikörperkultur war noch nicht mit all seinen textillosen Konsequenzen zu mir durchgedrungen. Umso deutlicher wurde es, als wir, mein Bruder, meine Tante und meine Großeltern, noch angezogen zum Wohnwagen gingen und die Begrüßung der Nachbarn erfolgte.
Als Kind hat man den Nachteil mangelnder Größe, und während ich als schnell Wachsender glücklicherweise bereits die Höhe des erwachsenen Bauchnabels erreicht hatte, war mein kleiner Bruder direkt auf Augenhöhe mit dem, was sonst hinter der Badehose schlummert. Es galt also: »Face your fears.«
Anfänglich hatte ich vor, mich und vor allem mein Kindergehänge bis Ende des Wochenendes im Wohnwagen zu verstecken. Normalerweise ist es für Kinder und ihre Vorgesetzten eine harte Prüfung an der Grenze zur gefühlten Sippenhaft, wenn man durch schlechtes Wetter ganztags in einen Wohnwagen gezwängt wird. Aber mir fielen plötzlich Brettspiele ein, von denen ich bis dahin nicht mal gehört hatte, und in meinem hysterischen Überschwang schlug ich alle nur erdenkbaren Indoor-Aktivitäten vor.
Ohne Erfolg. Ich wurde zur sofortigen Brotzeit ins Freie beordert, einschließlich weiterer Besuche unbekleideter Nachbarn. Ich hielt den Kopf vorsorglich gesenkt, bis meine Oma aufmunternd sagte: »Magst a Leberwurschtbrot? Komm, ich schmier dir eins.«
Hunger ist stärker als Schamgefühl.
Anschließend verschleppte man mich trotz Gegenwehr zu den Tischtennisplätzen und dem Volleyballareal. Da gab es dann kein Essen mehr, um abzulenken.
Für Volleyball war ich gottlob noch zu klein, im Gegensatz zu meiner Tante, damals zwölf und auf der Zielgeraden zur Pubertät. Sie war die Einzige auf dem Spielfeld, bei der die Körperteile eher wippten und nicht wie bei den anderen Spielern eher flatterten
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