Und was wirst du, wenn ich gross bin
Fall, schamvoll zu verkaufen.
Ich habe eine Gala gespielt für ein Insektizid eines Chemiekonzerns. Das schmerzt schon beim Schreiben, denn es ist so ziemlich das politisch Unkorrekteste, was man sich als kabarettnaher Mensch aussuchen kann. Für mich, so wie für die meisten naturschützerisch angehauchten Menschen, ist das vergleichbar damit, in Burma respektive Myanmar auf einem Benefizdinner für die Verlängerung des Hausarrests von Aung San Suu Kyi aufzutreten.
Die Ausdauer meiner Schwäche, Ideale gegen dringend benötigte Gelder zu verraten, beeindruckte selbst mich, der ich sie doch schon so lange kannte. Glücklicherweise blieb sie den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Sogar sehr eindrucksvoll verborgen, denn die Gala fand in einem stillgelegten Bergwerk im ehemaligen Osten statt. Als ich da so stand, zweihundertfünfzig Meter unter der Erde, im Anorak in einer feuchten Höhle mit eingebauter Bar, bei drei Grad Celsius, vor mir fünfundzwanzig Vertreter für Landwirtschaftsbedarf, die seit einer Stunde Schnaps und Bier tranken und schon eine halbe Stunde Bergarbeiterlieder und von Ziehharmonika begleitete Witze zu sich genommen hatten, da dachte ich mir, ich sollte den inneren Künstler besser bald entdecken. Koste es, was es wolle.
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künstler
Ein so konkretes Ziel wie »Künstler werden« tatsächlich umzusetzen, war für mich nicht leicht. Denn ich hatte zwischenzeitlich ein Prinzip gefunden, das ich seit dem Wanja-Jahr erst unbewusst und dann mit Absicht verfolgte. Ich nenne es das tarantinosche Goldaderprinzip. Es stammt aus dem Munde eines Freundes, wollen wir ihn Hermes nennen, wegen seiner guten Ratschläge.
Als ich mein erstes Theaterstück schrieb, welches ausnahmsweise nicht nur aufgeführt, sondern erfolgreich aufgeführt wurde, beschäftigte ich mich viel mit Dramaturgie an sich. Da es sich um eine Neubearbeitung des klassischen, aber gähnend langweiligen Jedermann-Motivs handelte, versuchte ich, meine Fassung zu verschärfen, indem ich mich durch zeitgenössische Filme inspirieren ließ. Insbesondere Kill Bill I und II . Diese beiden Filme sind eine Aneinanderreihung von formal völlig unterschiedlichen Szenen, die aber im Innersten zusammengehalten werden. Im Gespräch über die Filme meinte Hermes, es sei, wie wenn man eine Goldader verfolgen würde. Diese sei ja auch keine gerade verlaufende Linie. Man weiß beim Freilegen einer Goldader nie, wohin sie als Nächstes abbiegt und welche Zweige die dicksten Adern sind.
Dieses Bild fand ich wunderbar. Schon deshalb, weil ich damit mein Leben rechtfertigen konnte. Allerdings musste ich, was mein Leben betraf, zugeben, die längste Zeit gar nicht gewusst zu haben, dass ich nach Gold suche, geschweige denn wie Gold überhaupt aussieht. Aber seit der Wanja-Phase und unterstützt von Iris hatte das Prinzip, meinem Gefühl zu folgen, sich als durchaus erfolgreich erwiesen.
Das Prinzip der tarantinoschen Goldader erlaubte es mir nun, mit anderen zusammen an Werken zu arbeiten, ohne mich dabei unterzuordnen oder mich nur in ihren Dienst zu stellen, wie im Falle des reinen Autorendaseins.
Da ich mich gerade fürchterlich in eine Frau verliebt hatte, wollen wir sie Tyche nennen, weil ich ihr alles Glück dieser Erde wünsche, konnte ich diese Freiheit auch weidlich nutzen und mit ihr gemeinsam schreiben. Und das in einer befruchtenden Atmosphäre, ohne die Angst, vor Liebe betriebsblind zu werden, weil Goldadern im Gegensatz zu mir nämlich unbestechlich sind. Tyche und ich haben so gemeinsam ein Theaterstück geschrieben, das sogar für einen Theaterpreis nominiert wurde. Obwohl ich eigentlich immer wenig mit Theater zu tun hatte, scheint es mir wohlgesonnen zu sein, seit ich vor siebzehn Jahren Sektenmitglied wurde.
Leider war die Liebe zu Tyche mal wieder einseitig, im Gegensatz zur Freundschaft, die sich daraus entwickelte. Wir waren sogar gemeinsam im Urlaub, in Thailand, und hatten dort sehr viele schöne Momente - obwohl in dem einen oder anderen der Liebeskummer seine hässliche Fratze zeigte. Bei zu viel »Wollen« habe ich noch nie gut ausgesehen, egal in welchem Bereich.
Der einzige wirkliche Nachteil des Goldaderprinzips ist die Unmöglichkeit, irgendwohin bewusst zu steuern. Das ist im Übrigen auch der wirklich große Vorteil, wenn man sich damit anfreunden kann, Kapitän eines Bootes ohne Ruder zu sein.
Doch ich hatte ja das konkrete Ziel vor Augen, meinen »inneren Künstler« zu entdecken. Mir war klar, was
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