...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
bereits vor drei Jahren bekam. »Die Hotelkette deines Vaters genießt in der Branche den Ruf eines soliden Unternehmens mit hohem Serviceniveau und familiärem Flair.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Tanja lächelnd. »Dass ich die Firma nicht übernehmen will, heißt nicht, ich weiß nichts über sie. Aber woher weißt du das?«
»Ich habe mich erkundigt«, erwiderte Michaela unbeholfen. Sie kam sich kläglich vor, schämte sich ihrer Feigheit, die sie immer wieder zwang, sich zu verstellen.
»Weil du dich dafür interessierst«, stellte Tanja sachlich fest. »Also schreib deine Bewerbung.«
10.
M ichaela huschte an Kanters Sekretärin vorbei in sein Büro. Der wartete schon ungeduldig auf sie. Ohne Einleitung kam er gleich zur Sache.
»Hamburg rief an. Petermann, den ich an Tanjas Stelle als Wirtschaftsdirektor entsendet habe, tut sich schwer.« Kanters Finger klopften auf die Schreibtischplatte und zeigten an, wie unzufrieden er darüber war. »Er findet nicht die richtige Balance zwischen Objektivität und Gespür im Umgang mit den Kollegen. Es kommt zu unnötigen Reibereien, besonders mit dem weiblichen Personal. Anscheinend gab es da auch eine kurze Affäre und nun . . . na ja. Die Hoteldirektion möchte Petermann ersetzen. Und ich auch.«
»Tanja ist noch nicht soweit. Sie wird nach wie vor ablehnen«, warf Michaela ein.
»Ich weiß. Deshalb werden Sie nach Hamburg gehen.«
»Ich?« Michaela schniefte zufrieden. Das hättest du leichter haben können, hättest du mich gleich hingeschickt, dachte sie.
»Sie werden die Aufgabe wie gewohnt mit Bravour meistern. Die letzte vor Ihrer neuen Position als Hotelmanagerin.«
Ja! Michaela, du hast es geschafft! stellte sie zufrieden fest.
Sie horchte in sich hinein. Wo blieb die Freude eingedenk dieser guten Neuigkeit? Die Erleichterung? Das war es doch, was sie gewollt hatte. Statt dessen rauschte der Gedanke durch ihren Kopf: Tanja würde sie sicher vermissen.
Und du? fragte sie sich. Wirst du Tanja vermissen?
Michaela stutzte. Welch seltsame Frage. Seit wann spielte Tanja eine solche Rolle in ihrem Leben, dass sie auf den Gedanken kam, sie vermissen zu können? Sie mochte Tanja, ja. Aber um jemanden zu vermissen, musste man den Menschen schon sehr, sehr, sehr mögen.
»Wann soll ich nach Hamburg fahren?« fragte Michaela in geschäftsmäßigen Ton.
»Gleich nach dem Wochenende. Sie beginnen am Montag.«
»Also zwei Tage zur Vorbereitung.«
»Brauchen Sie länger?«
»Nein. Aber . . . was wird mit Tanja? Sie wird sehr enttäuscht sein, wenn ich nicht mehr hier bin.«
Bist du verrückt, Michaela? Warum sagst du das? Was, wenn er jetzt jemand anderen nach Hamburg schickt? Oder noch schlimmer, die Stelle auf Gomera anders vergibt? Seit wann legst du dir selbst Steine in den Weg? Das taten normalerweise andere.
Kanter zögerte. »Ja, da haben Sie wohl recht.«
O nein! Er sucht in Gedanken schon nach einem Ersatz für mich!
Kanter musterte Michaela nachdenklich. »Aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Sie sind die Beste für den Job. Außerdem, ich schicke Sie doch nicht nach London oder New York. Hamburg ist nur drei Autostunden von Berlin entfernt. Sie sind ja nicht aus der Welt.«
Ja, noch nicht. Zum ersten Mal kam Michaela der Gedanke, dass sie auch etwas zurückließ, wenn sie ihre neue Stelle im Ausland antreten würde.
»Hamburg?« echote Vanessa. Sie saßen gemeinsam beim Abendessen. Michaela hatte ihr gerade die Neuigkeit unterbreitet. »Meines Wissens liegen die Kanarischen Inseln in der entgegengesetzten Richtung.«
Michaela unterdrückte das Verlangen, sich die Ohren zuzuhalten. Sie konnte die Worte »Gomera« und »Kanarische Inseln« nicht mehr hören. Trotzdem versuchte sie Vanessa zu besänftigen. »Das ist doch nicht fest. Nur eine Übergangslösung. Bis Tanja bereit ist, Hamburg zu übernehmen.«
Vanessa aß still weiter. Michaela wartete. Ein drückendes Schweigen legte sich zwischen sie, welches Vanessa schließlich mit der Feststellung beendete: »Ich war mir nicht im klaren darüber, dass die Sache ein solches Langzeitprojekt ist. Da können ja noch Monate vergehen.«
Michaela sah Vanessa an. »Komisch. Ich dachte, du würdest dir eher Sorgen darüber machen, dass wir uns weniger sehen, wenn ich in Hamburg bin. Ich kann nur jedes zweite Wochenende nach Hause kommen. Du könntest mich natürlich das andere Wochenende in Hamburg besuchen. Trotzdem bleibt uns wenig Zeit zusammen.«
Vanessa seufzte. »Natürlich
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