...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Chemie offensichtlich nicht besonders gut zusammen.
»Ich habe Vanessa gesagt, sie soll dich in Ruhe lassen«, beruhigte sie Tanja.
»Und du glaubst, sie hält sich daran?« fragte Tanja skeptisch.
»Falls nicht, musst du sie einfach in die Schranken weisen. Ich glaube sie wollte dich beim letzten Mal nur etwas schockieren, um zu sehen, wie du reagierst.«
»Warum? Was hat sie davon?«
Darauf wusste Michaela keine Antwort. Statt dessen sagte sie: »Bitte, komm doch, mir zuliebe.«
Tanja gab nach – und schaute Michaela verlegen an, als sie ihr am nächsten Abend gegenüberstand. »Entschuldige. Ich hoffe, du denkst nicht, ich kann Vanessa nicht leiden.«
»Aber nein.« Michaela lächelte. »Komm herein.«
Tanja überreichte Michaela eine Flasche Rotwein. »Bitte. Mit schönem Gruß von meinem Vater.«
Michaela führte Tanja ins Wohnzimmer, wo die anderen schon versammelt waren. »Das ist Tanja«, stellte Michaela sie vor. Und dann zu Tanja: »Jana und Vanessa kennst du ja schon. Bea ist die Dame in Weiß, an ihrer Seite Lilly.«
»Hallo«, sagte Tanja schüchtern.
Michaela ging in die Küche, um letzte Hand an das Essen anzulegen. Doch sie hatte vorgesorgt und Jana gebeten, sich ein wenig Tanjas anzunehmen. So würde Vanessa gar nicht erst in Versuchung kommen, Tanja in Verlegenheit zu bringen – hoffte sie.
Die Kruste des Schweinebratens war schön goldbraun und kross, ganz wie es sein sollte. Nichts für Diätanhänger, dafür lecker. Michaela schaltete den Ofen aus und schnitt den Braten auf. Rotkohl und Kartoffeln gab sie in die vorgewärmten Schalen und trug alles zum Tisch, zum Schluss die Soße. »Ich bitte zu Tisch, solange das Essen warm ist.«
Man folgte ihrer Aufforderung. Während des Essens, das alle lautstark lobten, kam die Unterhaltung richtig in Gang.
»Was wirst du in Hamburg machen?« fragte Bea.
»Ich werde den derzeitigen Wirtschaftsdirektor ablösen.«
»Toll, endlich mal was mit eigenem Aufgabenbereich.«
Michaela fiel siedendheiß ein, dass ihre Arbeit ein schlechtes Gesprächsthema war. Wenn nämlich Bea oder eine der anderen irgendeine Bemerkung machte, die erkennen ließ, dass sie schon länger bei Kanter arbeitete, hätte sie Tanja gegenüber großen Erklärungsbedarf.
»Kinder, habt ihr keine anderen Themen als die Arbeit?« beeilte sie sich zu fragen. Sie sah verstohlen zu Vanessa.
»Tanja, was machst du jetzt eigentlich? Michaela erzählte mir, dass du dein Studium so super abgeschlossen hast«, sprang die ihr auch hilfreich bei. Allerdings fand Michaela ihren Ton etwas herablassend. Vanessas nächste Bemerkung war dann auch ziemlich kränkend. »Wirst du ein wenig in der Welt herumgondeln? Ihr müsst nämlich wissen, Tanja ist die Tochter von Michaelas Chef. Im Gegensatz zu uns muss sie sich um Job und Geld keine Sorgen machen. Sie genießt das Privileg, frei zu entscheiden, ob sie in der Firma ihres Vaters arbeiten will oder nicht.«
»Vanessa!« ermahnte Michaela.
»Nein, schon gut«, wehrte Tanja ab. »Du musst mich nicht beschützen. Das kann ich selbst. Und Vanessa hat ja recht – oberflächlich betrachtet.«
»Oberflächlich?« fragte Vanessa pikiert. Das wollte sie nicht auf sich sitzen lassen.
Tanja lächelte in ihrer typischen zurückhaltenden Art. »Ja, denn ich muss mir wirklich keine Gedanken ums Geld machen. Trotzdem mache ich mir Gedanken um meine Zukunft. Ich möchte nicht etwas beginnen, was ich nach kurzer Zeit wieder aufgeben würde. Im Moment glaube ich nicht, in der Firma meines Vaters am richtigen Platz zu sein.«
Michaela schaute gespannt zu Vanessa, wartete auf deren Antwort. Die zog es jedoch vor zu schweigen. Tanja war es für den Moment wirklich gelungen, Vanessa in die Schranken zu weisen.
»Du tust gut damit, dir Zeit zu lassen«, meinte Lilly. »Man soll sich nicht in einer Sache engagieren, an der man Zweifel hat. Man macht dann nur halbe Sachen, das bringt niemandem etwas.«
Tanja sah sie dankbar an. Doch schon fand Vanessa ihre Angriffslaune zurück. Ihre Worte klangen spöttisch, als sie sagte: »Wohl dem, der sich solche philosophischen Gedanken leisten kann.«
»Du bist eine alte Miesmuschel«, sagte Michaela. Dass Vanessa aber auch keine halbe Stunde mit Tanja in einem Raum sein konnte, ohne sie verbal anzugreifen. »Es ist doch nicht Tanjas Schuld, dass sie in Verhältnissen lebt, die ihr mehr Entscheidungsfreiheit bieten.«
»Ja, man hat fast den Eindruck, du kannst Tanja nicht leiden«, meinte Jana mit vollem
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