...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
nachsichtig an. »Ja, sicher sind wir das. Aber in der Bank am Schalter zu arbeiten ist nicht gerade aufregend, und die Szene hier wird immer öder. Ich würde gern auf dieser süßen, kleinen Kanarischen Insel wohnen. Und auf die Art würden wir schneller da hinkommen.«
Michaela fühlte, wie ihr der Boden unter den Füßen wegrutschte. In ihrem Magen zog sich etwas zusammen, so dass ihr schlecht wurde. Zum ersten Mal kam ihr der Verdacht, Jana könnte recht haben. Es schien Vanessa egal zu sein, ob sie mit Tanja schlief. Das deutete klar daraufhin, dass Vanessa selbst den Gedanken an Treue schon lange aufgegeben hatte.
Was, wenn Vanessa sich wirklich schon durch alle Betten geschlafen hätte und jetzt ein neues Jagdrevier brauchte? Sie war, als sie sich kennenlernten, sehr aktiv im Bett. In der letzten Zeit fasste Vanessa sie kaum noch an. Schon gar nicht von sich aus. War Vanessa nur noch mit ihr zusammen, weil sie die Wohnung bezahlte? Hoffte ihre Geliebte auf ihren, Michaelas, Karrieresprung, der dann auch ihr Leben finanzieren würde?
All diese Gedanken stürzten mit brutaler Wucht auf Michaela ein, machten sie förmlich bewegungslos. Sie stand Vanessa gegenüber, sah sie an und wollte nicht glauben, dass Vanessa so berechnend war.
Nein! Nein, nein! Unmöglich, sagte Michaela sich. Vanessa meint das nicht so. Es war nur ein Scherz, eine ihrer leicht dahin geworfenen Bemerkungen, die sie nicht ernst meint.
Denn wenn die ganze Geschichte jetzt damit endete, dass auch noch die Grundfesten ihrer Beziehung in Frage gestellt wurden, konnte sie sich gleich erschießen.
Michaela riss sich zusammen. »Nun, ich werde aber nicht mit Tanja schlafen, also wird es etwas länger dauern mit dem Umzug. Ich hoffe, das macht dir nichts aus«, fand sie zu sich zurück.
Vanessa antwortete erwartungsgemäß scherzend. »Wenn es denn sein muss.«
Bevor neue Zweifel ihr zusetzen konnten, wechselte Michaela das Thema.
Das Dumme war nur, dass sich die Zweifel, einmal festgesetzt, nicht so leicht verscheuchen ließen.
9.
M ichaela hob beschwörend ihre Hände. »Können wir die Sache nicht als erledigt betrachten? Ich meine, Tanja ist auf dem richtigen Weg. Sie haben auch besseren Kontakt zu ihr. Der Rest kommt mit der Zeit.« Sie saß in Kanters Büro, wie vor vier Wochen, als er sie in seinen Plan einspannte, nur würde Michaela heute lieber ihren Job riskieren, statt sich darauf einzulassen.
»Was ist los mit Ihnen, Frau Dietz?« fragte Walter Kanter überrascht. »Warum wollen Sie auf der Zielgeraden abbrechen? Wenn ich Sie jetzt nach Gomera gehen lasse, wäre alles umsonst gewesen. Tanja würde sich wieder in sich zurückziehen.«
Michaela registrierte erstaunt, dass in Kanters Auftreten eine Veränderung zu verzeichnen war. Noch vor vier Wochen hätte er in der selben Situation seine Zeit weder mit Fragen noch Argumenten verschwendet, sondern einfach seinen Willen verkündet. Deshalb wagte sie zu sagen: »Ich fühle mich schrecklich, Tanja fortwährend anzulügen.«
Doch so tiefgreifend war Kanters Wesensänderung dann doch wieder nicht. Er verstand Michaela nicht. »Was meinen Sie mit anlügen? Sie sind doch Freundinnen, oder mögen Sie Tanja nicht?« Seine Stimme klang ein wenig besorgt.
»Natürlich mag ich sie. Das ist ja das Problem. Ich kann ihr nicht in die Augen sehen.«
»Warum? Nur weil wir beim Zustandekommen Ihrer Freundschaft zu meiner Tochter ein wenig nachgeholfen haben? Sie haben Tanja einen Dienst erwiesen. Und mir auch. Völlig überflüssig, sich von einem schlechten Gewissen plagen zu lassen.« Kanter schüttelte den Kopf. Aber offensichtlich war er nachgiebig gestimmt und sehr zufrieden mit dem bisher Erreichten, denn er lenkte ein. »Okay, ein Deal. Ich übernehme selbst den letzten Part, spreche mit Tanja über ihren Einstieg in die Firma. Ist vielleicht auch besser. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich es anpacken muss. Sie brauchen Tanja dahingehend nicht zu beeinflussen. Aber Sie bleiben noch so lange, bis die Sache klar ist. Und falls Tanja Sie fragen sollte, geben Sie ihr den richtigen Rat.«
»Wie Sie meinen«, gab Michaela nach.
Walter Kanter nickte zufrieden. Plötzlich hielt er inne, beugte sich in seinem Sessel leicht vor. »Nein, ich habe eine bessere Idee.« Er machte eine effektvolle Pause. »Wie wäre das: Ich biete der Freundin meiner Tochter einen guten Job in meiner Firma an, den sie dankend annimmt. Wenn Tanja sieht, dass Sie nichts gegen mich haben, dass Sie sich für die
Weitere Kostenlose Bücher