...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Michaela. Vanessa hätte sowieso durch irgendeine erfahren, dass sie mit einer anderen Frau hier war. Einer Neuen . Und jetzt, wo sie Vanessa so unerwartet hier traf, konnte die wohl kaum etwas dagegen sagen. Trotzdem fühlte Michaela sich unwohl in ihrer Haut.
Vanessa kam zu ihnen, küsste Michaela flüchtig. »Hallo, ich wusste nicht, dass ihr auch hierher wolltet.«
»Spontane Entscheidung«, sah Michaela sich veranlasst zu erklären. »War Tanjas Idee.«
Vanessa musterte Tanja eingehend. Die fühlte sich regelrecht fixiert. »Du bist ja anscheinend sehr neugierig«, sagte Vanessa zu ihr.
»Ich wollte einfach mal mit einer Frau tanzen, ohne angegafft zu werden«, erwiderte Tanja ruhig.
»Na dann, viel Vergnügen.« Vanessa ging wieder zu den anderen. Michaela fand es merkwürdig, dass Vanessa sie nicht einlud mitzukommen. Andererseits war sie auch froh darüber. Deshalb zerbrach sie sich nicht weiter den Kopf. Sie wollte den Abend lieber allein mit Tanja genießen.
Tanja schaute Vanessa nach. »Sie ist sehr hübsch«, sagte sie.
Michaela nickte gedankenversunken. »Ja, das ist sie.«
»Das finden ihre Freundinnen auch. Zwei Drittel der Truppe sieht sie mit Stielaugen an.« Tanjas Beobachtungsgabe war faszinierend. Und sie brachte blitzschnell auf den Punkt, wozu Michaela den ganzen Abend gebraucht hätte, das musste sie zugeben. »Vielleicht stimmt es ja, was Jana sagte«, fügte Tanja nun auch noch hinzu.
Wenn eines nicht zu Tanjas Eigenschaften gehörte, dann, dass sie lange um den heißen Brei herumredete. Michaela kannte das an ihr, im Grunde genommen mochte sie es, nur in diesem Fall wäre es ihr lieber gewesen, Tanja hätte ihre Weisheit für sich behalten. »Was meinst du?« fragte sie überflüssigerweise.
Jede andere hätte jetzt »Ach nichts« gesagt, um ihre Freundin zu schonen. Tanja dagegen beantwortete Michaelas Frage prompt: »Dass sie mit anderen Frauen schläft.«
»Jana sieht überall Gespenster. Und du offenbar gerade auch«, wehrte Michaela ab.
Doch wenn sie die Gruppe betrachtete, konnte auch sie nicht umhin zuzugeben, dass einige der Frauen Vanessa mit ihren Blicken förmlich verschlangen, und der schien das zu gefallen.
Aber nicht nur das. Vanessa trafen auch andere, traurige Blicke. Der typische Blick einer abgelegten Liebhaberin. Ach was, verscheuchte Michaela kategorisch die unbehaglichen Gedanken. Was kann Vanessa dafür, dass diese Frauen sie anschmachten? Die einen tun es eben aggressiv und die anderen mit dem traurigen Hundeblick. Das bedeutet gar nichts!
»Tanzen wir?« fragte Tanja in Michaelas Gedanken.
Michaela nickte. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Vanessa jede ihrer Bewegungen verfolgte. War sie eifersüchtig? Nein, nicht Vanessa. Das entsprach ihr nicht. Aber warum schaute sie so?
Als das Lied vorbei war, kam Vanessa zu ihnen. »Ich würde auch gern mit deiner neuen Freundin tanzen, wenn du gestattest.«
Michaela trat zurück und Vanessa an ihre Stelle.
Tanja tanzte mit ihr den Titel, dann kam sie wieder zu Michaela. »Sie ist sehr – kalt, deine Geliebte.«
Michaela wunderte sich über den Ausdruck. Sie hatte ja schon viele Beurteilungen über Vanessa gehört, aber so eine noch nie. »Wie kommst du darauf?«
»Sie fragte unumwunden, ob wir es schon getan hätten. Und falls nicht, sollten wir es endlich tun.«
Michaela war sich nicht sicher, ob sie Tanja richtig verstanden hatte. »Wie bitte?« fragte sie deshalb. Und dann, weil das, nachdem Tanja es wiederholte, die nahegelegenste Erklärung war. »Das hast du sicher falsch verstanden.«
Tanja erwiderte nichts. Ihr Blick ging von Michaela zu Vanessa und wieder zurück. Als Michaela ihn wieder auffing, lag ein Ausdruck darin, den Michaela nur schwer deuten konnte. So als wüsste Tanja etwas, was sie, Michaela, nicht wusste.
»Hast du das wirklich zu Tanja gesagt?« fragte Michaela Vanessa am nächsten Tag.
»Ja«, gab Vanessa unumwunden zu. Sie fragte nicht einmal, was Michaela meinte.
»Wieso?«
»Die Kleine ist so offensichtlich an dir interessiert, das sieht doch ein Blinder. Und du bist auch nicht abgeneigt. Also wo ist das Problem?«
Michaela kam es so vor, dass alle anderen um sie herum einander durchschauten, zumindest gaben sie es vor, nur sie stand ahnungslos mittendrin, sah nichts von alldem. Oder wollte sie es nur nicht sehen?
»Das ist absoluter Blödsinn. Aber selbst wenn es so wäre, wie kannst du so was sagen? Ich meine . . . wir sind doch zusammen.«
Vanessa sah Michaela
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