...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
auf diese Reise bekommen: Schauen und Lernen. Sie hatte keinerlei Befugnis für Gespräche über firmenrelevante Themen. Michaelas deutlich fragende Blicke ignorierte Tanja.
Während des Rundganges durch das Hotel stellte Tanja detaillierte Fragen zur Logistik. Tanja interessierte alles. Wieviel Kilogramm Wäsche pro Tag die Wäscherei durchliefen, wieviel Portionen Essen die Küche pro Tag zubereitete, wie groß die Lagerbestände waren und so weiter. Sie ließ sich Arbeitsgänge an den verschiedenen Maschinen zeigen, fragte nach deren Leistungsfähigkeit. Die Hotelangestellten erlebten eine interessierte Juniorchefin, und es gefiel ihnen.
Beim Abendessen war Tanja dann sehr schweigsam. Michaela vermutete, es lag daran, dass so viel Neues auf sie eingestürzt war. Vielleicht zu viel? fragte Michaela sich besorgt. Die Arbeit verlangte Tanja sehr viel an Disziplin und Überblick ab. Da konnte schon eine gewisse Anspannung aufkommen.
Allerdings erklärte das nicht Tanjas Zurückhaltung, dieses reservierte, ja fast schon ablehnende Verhalten Michaela gegenüber. Erst am Freitag im Büro, dann heute morgen am Flugplatz. Während des Fluges hatte Tanja auch kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Und so zog sich das den ganzen Tag hin. Irgend etwas stimmte da nicht. Tanja wirkte so in sich gekehrt.
Hatte sie Streit mit ihrem Vater, kaum dass sie mit der Arbeit in der Firma begonnen hatte? Möglicherweise gingen die Meinungen über Tanjas Rolle in der Firma auseinander. Vielleicht wollte Tanja von Anfang an Eigenverantwortung, die ihr Vater noch nicht bereit war, ihr zu übertragen? Aber selbst wenn dem so war, spekulierte Michaela weiter, warum verschloss sich Tanja ihr gegenüber? Was konnte sie dafür?
Nun, du hast Tanja darin bestärkt, in die Firma einzusteigen. Wenn sie jetzt unzufrieden ist, ist es irgendwie auch deine Schuld.
Konnte man das so sehen?
Ja, wenn man jung und enttäuscht ist.
Aber normalerweise redete Tanja erst recht mit ihr, wenn sie mit etwas nicht klarkam.
»Du bist nicht sehr gesprächig«, sagte Michaela aus ihren Gedanken heraus. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Sie spießte etwas vom Salat auf die Gabel.
»Alles bestens«, erwiderte Tanja kurz angebunden.
»Ähm, wie lief es denn so in der letzten Woche? Was hast du gemacht?« tastete sich Michaela vorsichtig weiter. Sie schob sich den Salat in den Mund.
»Bilanzen gelesen«, lautete die nicht eben ausführliche Antwort.
Michaela kaute langsam. »Aha. Gleich voll in die Materie eingestiegen. Das wird deinen Vater freuen. Wie geht es ihm eigentlich? Ich habe ihn vor unserer Abreise gar nicht mehr gesprochen.«
Tanjas Blick schimmerte dunkel. »Ein Wunder, wo ihr euch doch sonst so gut versteht.«
Michaela glaubte, Tanja beziehe sich auf die gemeinsamen Abendessen im Hause Kanter und zuckte leicht mit den Schultern. »Na ja, so gut nun auch wieder nicht.«
»Wie soll es ihm schon gehen?« sagte Tanja jetzt leichthin. »Ich nehme an, er schwebt im Siebten Himmel, jetzt wo ich endlich meinen Part in der Firma übernommen habe.«
Michaela nickte. »Ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Wer, wenn nicht du«, erwiderte Tanja gedehnt.
Michaela stutzte. Was meinte Tanja damit? Warum war da dieser merkwürdige Unterton in ihrer Stimme?
»Und? Bist du zufrieden mit deiner neuen Aufgabe?« fragte Michaela. Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie irritiert sie war.
»Ja«, lautete die einsilbige Antwort.
»Es ist auch eine sehr verantwortungsvolle Position. Dazu spannend. Nicht wahr?«
»Ja.« Tanja sah von ihrem Essen auf. »So manch einer würde sonst was dafür tun, glaube ich.«
Michaelas Herz begann mit einem Mal heftig zu schlagen. So, als hätte sie zu viel und zu starken Kaffee getrunken. »Da hast du sicher recht«, sagte sie mit belegter Stimme.
Tanja entging nicht, wie Michaela in sich zusammenkroch. Ja, dazu hast du allen Grund! brodelte es in ihr. »Ich weiß, dass ich recht habe«, sagte sie, ihren Ärger über Michaelas feiges Versteckspiel zurückdrängend. Ich weiß, »so manch eine« sitzt mir gerade gegenüber. Was ich nicht weiß, ist, wie lange ich das noch aushalte. Diesen ganzen Lug und Trug.
Tanja, von je her für Offenheit und Ehrlichkeit, beschloss der Farce ein Ende zu bereiten. Ihren ursprünglichen Racheplan, Michaela erst zu verführen und dann links liegen zu lassen, hatte sie eh schon begraben. Sie würde selbst mehr darunter leiden als Michaela. Also konnte sie auch die Karten auf den Tisch legen.
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