...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
mich nie auf diese Sache einlassen dürfen«, seufzte Michaela. »Was habe ich mir bloß dabei gedacht?« Sie saß bei Jana in der Küche.
Jana schaute sie mitfühlend an. »Du konntest doch nicht wissen, dass du dich in Tanja verlieben würdest.«
»Nein.« Michaelas nächster Seufzer war noch dramatischer. »Nein, natürlich nicht. Genau das war das Fatale. Sonst wäre es mir doch leichtgefallen, diesem Versteckspiel ein Ende zu bereiten. Aber so . . . ich konnte es ihr einfach nicht sagen.«
»Was willst du jetzt machen?«
»Mir einen neuen Job suchen, was sonst?«
»Und Tanja?«
»Tanja wird ihren eigenen Weg gehen.«
»Du willst nicht versuchen, noch einmal mit ihr zu reden?«
»Was soll das bringen? Ich muss mich damit abfinden, dass es vorbei ist.«
Jana nahm Michaelas Hände in ihre. »Vielleicht, wenn ein wenig Zeit vergangen ist, wird Tanja anders darüber denken.«
Michaela schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sie ist sehr konsequent in allem, was sie denkt und tut. Du kennst sie nicht.«
»Dann . . . entschuldige«, Jana druckste ein wenig. »Aber dann liebt sie dich nicht genug.«
Michaela sah ihre Freundin traurig an. »Ja, das habe ich mir auch schon gesagt. Als Trost taugt das aber wenig.«
24.
W alter Kanter machte sich Sorgen. Tanjas physische Heilung schritt gut voran. Aber sie wirkte unbeteiligt.
Seit der Überweisung in die Reha zog Tanja sich mehr und mehr in sich zurück.
Bei seinen Besuchen versuchte Kanter seine Tochter so gut es ging aufzumuntern, aber er merkte deutlich, dass er schnell an Grenzen stieß. Das gelegentliche Lächeln, dass er Tanja entlockte, verschwand so schnell, wie es kam. Und Walter Kanter war intelligent genug sich zusammenzureimen, was die Ursache für Tanjas Lethargie war.
Innerlich verfluchte er den Grund – und vor allem sich selbst, da er ja den Stein ins Rollen gebracht hatte. Woher sollte er auch wissen, dass Michaela Dietz eine solche Wirkung auf seine Tochter haben würde. Das konnte doch kein Mensch ahnen. Sicher, früher oder später würde Tanjas Liebeskummer überstanden sein. Aber bis dahin musste er warten und sie leiden sehen. Am besten, er gab Tanja, sobald sie aus der Reha entlassen wurde, eine verantwortungsvolle Aufgabe in der Firma. Vielleicht konnte er sich ein wenig zugänglicher ihren Ideen gegenüber zeigen. Es konnte nicht schaden, sich mal genauer anzuhören, was sie vorhatte. Vielleicht war ja doch etwas dran an der ganzen Sache? Das würde Tanja jedenfalls von ihren trüben Gedanken ablenken. Hatte bei ihm doch auch funktioniert, damals.
Hier kam Kanter mit seinen Überlegungen ins Stocken. Ja, es hatte funktioniert. Aber mit welchem Ergebnis? Er schlug sich als einsamer Wolf durch sein Leben. Wünschte er das seiner Tochter? Nein, ganz sicher nicht. Es war zwar ein angefülltes, aber kein zufriedenes Leben, was er führte. Wie viele lange, einsame Abende und Nächte hatte er verbracht? Und wie wenige Menschen konnte er zu seinen Freunden zählen? So erstrebenswert war das nicht. Tanjas Kummer mit Arbeit zu betäuben war wohl doch keine so gute Idee. Er musste etwas anderes finden.
»Herr Kanter? Sie? Ich dachte, Ihre Tochter wäre in der Reha.« Doktor Erling schaute den graumelierten Mann erstaunt an, der plötzlich unangemeldet in ihrem Büro stand.
Kanter nickte. »Ist sie auch.«
»Gibt es Probleme?« fragte die Ärztin besorgt.
»Nein. Ja. Wie man es nimmt.« Kanter zuckte hilflos mit den Schultern. »Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«
Walter Kanter wusste nicht zu sagen, warum er ausgerechnet zu dieser Frau ging, um nach Rat zu fragen. Sicher, sie machte einen intelligenten, kompetenten Eindruck. Aber sie war Ärztin. Da sollte man das voraussetzen. Nein, er wusste nicht, was es war – außer vielleicht ihre Art, den Kopf ein wenig zu neigen, wenn sie zuhörte. Und dass sie einem damit das Gefühl gab, als würde sie alle Zeit der Welt für ihr Gegenüber haben. Das Gefühl, dass man ihre hundertprozentige Aufmerksamkeit besaß – und ihre Anteilnahme. Dieses Gefühl hatte jedenfalls Walter Kanter, wenn er mit Doktor Erling sprach.
Die Ärztin wies auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. »Bitte, setzen Sie sich doch. Worüber wollen Sie mit mir sprechen?«
»Ich weiß, Ihre Zeit ist knapp bemessen, und ich will Sie auch nicht länger als notwendig . . .«
»Genau wie Ihre Zeit, nehme ich an«, unterbrach die Ärztin Kanters umständliche Einleitung. Sie stützte ihre Ellenbogen
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