...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Freitagabend frei«, gluckste ihre volle, warme Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um.
Zwei dunkle Augen sahen ihn spitzbübisch an.
25.
W alter Kanter saß im Zimmer seiner Tochter in der Reha-Klinik. Sie spielten Schach. Schon zum zweiten Mal machte Walter Kanter einen Schussligkeitsfehler. Es kostete ihn nach dem Turm einen Läufer.
»Was ist denn los mit dir, Vater?« fragte Tanja. »Du bist irgendwie gar nicht bei der Sache. Ärger in der Firma?«
»Nein. Alles in Ordnung.« Walter Kanter sah angestrengt auf das Schachbrett.
»Aber du bist heute so fahrig. Dich beschäftigt doch irgend etwas.«
Nun seufzte ihr Vater. »Ich habe etwas Dummes gemacht, Tanja.«
»Du?« Tanja schüttelte energisch mit dem Kopf. »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
»Doch«, sagte er und sah dabei recht unglücklich drein. »Ich fürchte, ich muss dir etwas beichten.«
Tanja zuckte nur mit den Schultern. Was konnte das schon sein?
»Ich war bei Doktor Erling.«
»Bei der Ärztin? Was wolltest du dort?«
»Ich . . . brauchte jemanden zum Reden. Wegen dieser Sache zwischen dir und Frau Dietz.« Walter Kanter brachte Michaelas Vornamen immer noch nicht über die Lippen. Es war ihm zu – nah. »Weißt du, Tanja, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn zwei Frauen . . . Ich weiß nur, du sollst mit mir über alles reden können. Ich sage nicht, es macht mir nichts aus. Aber es wäre viel schlimmer, wenn wir uns wieder voreinander verschließen.«
Tanja schaute ihren Vater lange an. »Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Nach einer nachdenklichen Pause fragte sie leicht verschmitzt. »Und? Was hat die Expertin dir geraten?«
»Na ja, eben genau das. Ich soll dir sagen, dass du mit mir reden kannst. Über alles.«
Tanja seufzte. »Leider gibt es nicht sehr viel darüber zu reden, Vater. Michaela hat sich entschieden. Und ich muss das akzeptieren.«
»Ja, da hast du wohl recht. Ich will auch nur sagen, wenn du dich mal ausheulen willst, dann nicht in deinem stillen Kämmerlein, sondern an meiner Schulter. Okay?«
Ein schwaches Lächeln war die Antwort.
»Ach, ähm, da ist noch etwas.«
»Was denn noch?«
»Ich habe Doktor Erling zum Essen eingeladen.«
Tanjas Kopf fuhr in die Höhe. »Du hast was?« Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr Vater in den letzten Jahren jemals ein Rendezvous gehabt hatte.
Walter Kanter druckste verlegen. »Es hat sich irgendwie angeboten, nachdem ich ihr soviel über uns erzählt habe.«
Tanja interessierte nur eines. »Wann?«
»Freitagabend.«
»Freitagabend gehst du seit Jahr und Tag in den Segelklub zum Herrenabend.«
Er grinste schelmisch. »Dann kann ich das ja einmal absagen.«
Es brauchte nicht viel Menschenkenntnis, um zu bemerken, dass in ihrem Vater eine Veränderung vorging. Tanja, die nach sechs Wochen Reha wieder zu Hause war, hatte ihren Spaß daran, ihn damit aufzuziehen.
Darüberhinaus war ihr allerdings nicht sehr nach Scherzen oder Lachen zumute. Acht Wochen lag ihr Unfall jetzt zurück, acht Wochen hatte sie Michaela weder gesehen noch etwas von ihr gehört.
Aber warum sollte Michaela sich auch melden, wenn sie wieder mit Vanessa zusammen war? Es musste ja gut laufen mit den beiden. Ich will auch gar nichts von ihr hören, dachte Tanja trotzig. Wozu sollte das gut sein?
»Hast du etwas dagegen, wenn ich Frau Erling morgen Abend einlade?« unterbrach Walter Kanter die Gedanken seiner Tochter.
»Wieso? Hast du doch schon oft getan.«
Kanter räusperte sich. »Ich meine hierher. Zu uns. Und ich möchte gern, dass du mit uns isst.«
Tanja horchte auf. »Klingt ja fürchterlich ernst.«
»Ist es nicht«, versuchte ihr Vater herunterzuspielen. »Aber ich finde, du solltest sie näher kennenlernen. Elvira ist eine sehr kluge Frau. Wir werden uns gut unterhalten.«
»Das ist sicher das, was dich am meisten an ihr fasziniert. Nicht ihre tiefschwarzen Augen, nicht ihr edles Gesicht und schon gar nicht ihre fantastische Figur.« Tanja grinste frech.
Kanter runzelte die Stirn. »Ich mag es nicht, wenn du über die Reize anderer Frauen sprichst. Schon gar nicht . . .«
». . . über ihre«, beendete Tanja seinen Satz. »Ist sie auch so prüde?« Tanja wartete nicht auf eine Antwort, sondern kombinierte selbst. »Nein, das glaube ich nicht. Dann würdest du dich nicht für sie interessieren.«
»Ihr beide werdet euch gut verstehen«, meinte Walter Kanter zerknirscht. Er hob scherzhaft drohend den Zeigefinger. »Wehe, du verbündest dich
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