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Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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Fabrice’ Formulierung traf es besser, aber genau das hat ihn so begeistert: den Augenblick festhalten .«
    Frédéric dachte darüber nach. Das Gemälde, das irgendwo auf ihn wartete, war eine Winterlandschaft. Davon war er felsenfest überzeugt.
    »Und was der Kapitän später gesagt hat, erinnert Sie an nichts?«, fragte Frédéric.
    »Als er an Camilles Grab stand?«
    »Nein, an dem anderen Grab.«
    Jamel senkte den Kopf und rührte mit dem Löffel in seiner leeren Tasse.
    »Doch, doch, natürlich. Es ist mir nur nicht sofort eingefallen«, sagte er schließlich.
    »Über die Intoleranz«, fügte Frédéric hinzu.
    Jamel starrte noch immer auf seine Tasse.
    »Die Parkbänke, die Straße, die Nacht – er hat sich an alles gewöhnt. Man gewöhnt sich an alles, heißt es. Nur an Intoleranz gewöhnt man sich nie.«
    Frédéric dachte kurz nach, stand dann auf und ging zur Theke, um den Wirt etwas zu fragen.
    »Verzeihen Sie. Kannten Sie vielleicht einen gewissen Simon Offenbach? Er ist vor ungefähr zehn Jahren gestorben und liegt hier auf dem Friedhof begraben.«
    »Simon Offenbach, Simon Offenbach. Ist das nicht das Grab mit den Schmierereien?«, fragte der Wirt.
    Einer der Gäste, ein magerer, blasser Typ mit zerschrammten Händen, hörte auf zu flippern und mischte sich in das Gespräch ein.
    »Offenbach, den kennst du doch, Christian. Ich sage nur: Ein Käfig voller Narren . Dieser geschniegelte Typ mitseiner Schwuchtel, die am Wochenende immer hierherkamen.«
    Ah, dachte Frédéric. Jetzt verstand er auch, was der Kapitän mit der »falschen Farbe des Herzens« gemeint hatte.
    »Zwei warme Brüder, wenn Sie verstehen, was ich meine«, sagte der Mann an der Theke zu Frédéric und lachte hämisch. Um es zu verdeutlichen, nahm er eine weibische Pose ein, winkelte ein Bein an, spreizte affektiert die Finger und schürzte die Lippen.
    »Du übertreibst«, warf der Wirt ein.
    »Jetzt pass mal auf, Christian«, entrüstete sich der Gast. »Damit das klar ist. Normalerweise bin ich nicht für Schmierereien auf Gräbern. Den Toten muss man Respekt zollen. In diesem Fall bin ich allerdings auch der Meinung, dass es für alle besser wäre, wenn die Schwulen sich mehr zurückhalten würden.«
    »Sie waren doch zurückhaltend«, widersprach der Wirt.
    »Sie wohnten in demselben Haus. Die Duteils waren mal bei denen zu Hause, da gab es nur ein Schlafzimmer. Erzähl mir also nichts. Wie hieß der andere noch mal, diese Schwuchtel ...?«
    »Es reicht«, sagte Jamel plötzlich, der noch immer am Tisch saß. Seine Augen wurden dunkel vor Zorn.
    Der magere Typ warf ihm einen finsteren Blick zu.
    »Was ist denn mit dem los? Sag mal, du bist aber auch nicht von hier ...«
    »Patrick, halt dich zurück«, warnte der Wirt ihn.
    »Schon gut«, sagte Frédéric. »Wir sind tatsächlich nichtvon hier, sondern aus Paris. Es ist wohl das Beste, wenn wir jetzt dorthin zurückfahren. Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Mit dem Kaffee genau 30 Euro«, erwiderte der Wirt. »Nehmen Sie den Zug in Mantes-la-Jolie? Ich glaube nicht, dass bei dem Schnee viele Züge fahren. Sie sollten sich vorher erkundigen.«
    In diesem Moment klingelte das Glöckchen über der Eingangstür, und eine Frau schüttelte auf der Fußmatte den Schnee von ihrer Winterjacke. Frédéric sah, dass mittlerweile ein richtiger Sturm wütete, der den Schnee fast waagrecht vor sich hertrieb.
    »Na, schöne Frau«, sagte der Wirt. »Kommst du vom Bahnhof?«
    »Schön wär’s. Ich hatte um zwei Uhr einen Termin mit einem Händler in Paris, aber es fahren keine Züge. Taxis sind auch keine mehr unterwegs, und auf der Ringautobahn rund um Paris herrscht das totale Chaos. Was soll ich sagen? Ich habe die Verkäuferin heimgeschickt und das Geschäft geschlossen. Bei dem Wetter kauft sowieso keiner Unterwäsche. Komm, Christian, mach mir doch eine heiße Schokolade mit Sahne.«
    Frédéric warf einen Blick auf die Uhr mit der Pastis-Werbung, die über der Theke an der Wand hing. Es war Viertel vor eins. Jetzt blieben ihm nur noch drei Stunden, um nach Paris zurückzukommen. Und der andere Typ an der Theke, der gerade so in Rage geraten war, schielte zu Jamel hinüber und ballte dabei seine roten Fäuste.
    »Kommen Sie, wir gehen«, sagte Frédéric zu Jamel. »Uns fällt schon etwas ein.«
    »Diese Scheißaraber, die sich einbilden, sie könnten hier bei uns die Gesetze machen! Was glauben die eigentlich, wer die sind?«, zischte der magere Gast mit zusammengebissenen Zähnen, als

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