Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Jamel mit einem schiefen Lächeln.
Frédéric drehte sich um. Ein hochgewachsener Afrikaner mit schütterem Bart durchquerte in Anglerstiefeln, in denen er ein bisschen lächerlich aussah, und einer Pudelmütze, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, den Park. Der Mann hielt eine Plastiktüte aus dem Supermarkt und zwei Schwimmwesten in den Händen. Er war noch jung, keine 40, und als er den Abhang im Park hinabstieg, wirkte er so groß, dass man seine Anglerstiefel für Siebenmeilenstiefel hätte halten können. Frédéric warf unwillkürlich einen Blick auf das Boot, um sein Ausmaß einzuschätzen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser sonderbare Matrose mit den langen Beinen noch hineinpasste, wenn er und Jamel in dem Kahn saßen. Etwas weiter entfernt lag bestimmt noch ein anderes Boot.
»Ich nehme an, Sie sind der Rechtsanwalt Solis? Bertrand Ahmed. Sie können Kapitän zu mir sagen.« Er hatte strahlend weiße Zähne und reichte Frédéric seine Pranke. Dann wandte er sich Jamel zu, den er um zwei Köpfe überragte. »Mit wem habe ich die Ehre?«
»Nennen Sie mich Jamel. Sagen Sie mal, Ihre Anglerstiefel, laufen die von alleine? So etwas könnte ich auch gut gebrauchen.«
»Unsere Beine sind für das Reisen gemacht, die Länge unserer Schritte spielt dabei keine Rolle«, erklärte Bertrand in ernstem Ton. Er zog die Plane weg, worauf ein langesbunt bemaltes Boot zum Vorschein kam. Als Jamel sich ihm mit seinem humpelnden Gang näherte, um die Schwimmweste entgegenzunehmen, musterte er ihn. »Für Sie, mein Freund, ist das Wasser das richtige Element. Denn darin besteht das Geheimnis der Seefahrt. Solange Sie auf dem Wasser sind, brauchen Sie nicht zu laufen.«
Er bedeutete Frédéric, die Schwimmweste anzulegen. Dieser folgte zögernd der Aufforderung. Die gelbe, leicht klebrige Plastikweste passte nicht recht zu seinem beigefarbenen Kaschmirmantel.
Jamel und Frédéric setzten sich ins Boot, das gefährlich schwankte, als der Kapitän einstieg. Er nahm die Ruder in die Hand, und nach zwei oder drei Ruderschlägen waren sie mitten auf der Seine. Mittlerweile schneite es richtig, und der Wind wirbelte die zarten Schneeflocken durch die Luft.
»Ein schöner Tag, um mit dem Boot rauszufahren. Das weckt die Lebensgeister, nicht wahr?«, sagte der Kapitän und atmete die eiskalte Winterluft ein. Seine Passagiere antworteten ihm nicht. Jamel war damit beschäftigt, mit den beiden Kordeln seiner Kapuze eine Schleife unter dem Kinn zu binden. Und Frédéric ... Frédéric hatte ein Gemälde von Monet vor Augen.
Ja, er wusste, warum er hier war. Monet hatte seine Staffelei am Gare Saint-Lazare und in Argenteuil aufgestellt, wo Frédéric ebenfalls gewesen war, ohne die Gegenwart des Malers zu spüren. Aber hier auf der vereisten Seine, in dieser wunderschönen Winterlandschaft, in der helle, gedämpfte Farben und Klarheit vorherrschten, erkannte er den Eisgang bei Vétheuil wieder. Trotz der langenZeit, die vergangen war, hatte sich kaum etwas verändert: das Ufer von Lavacourt, die Silhouette der Kirche, die Unendlichkeit des weißen Himmels, das in allen Regenbogenfarben schillernde Licht, die beiden Inseln Île de Bouche und Île de Moisson ...
»... die Île de Bouche und etwas weiter die Île de Moisson und dort das Ufer von Haute-Île, die Claude Monet gemalt hat ...« Frédéric begriff, dass der Kapitän mit einer Führung begonnen hatte. Er selbst kannte schon alle Details. Die Serie der 17 Gemälde des Eisgangs wurden immer wieder in den Werken über die »Effekte des Schnees« bei den Impressionisten erwähnt. Doch er hörte den interessanten Erklärungen des Kapitäns mit der melodischen Stimme gerne zu. Auch Jamel lauschte aufmerksam.
Der Winter 1879/80 war außergewöhnlich streng gewesen. Das Leben in Paris kam zum Erliegen, die Transporte waren abgeschnitten, und die Seine war zugefroren. Am 5. Januar 1880 konnte man den »Eisgang« auf der Seine beobachten, und Monet, der damals in Vétheuil wohnte, begeisterte sich für dieses seltene Ereignis. Als großer Liebhaber der Natur und des Malens unter freiem Himmel besaß er ein Atelierboot, das er zu dieser Gelegenheit trotz der eisigen Temperaturen benutzte.
Der Kapitän erklärte, dass Monet bei jedem Wetter gemalt hatte, sogar wenn die Seine zugefroren war. Ab und zu brachte ihm jemand eine Wärmflasche. Nicht für die Füße, sondern für seine klammen Finger, denen der Pinsel zu entfallen drohte.
Als der Kapitän
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