Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Wohnzimmer zurück. Das Herz sank ihm bis auf seine ungeputzten Schuhe. Er fühlte sich erbärmlich. Frédéric warf einen flüchtigen Blick in das Kinderzimmer und dachte, dass dieses Baby geliebt werden würde von seiner Mama, von diesem Plüscheisbären und von einem anderen Papa. Warum war nicht er es? Er stellte sich vor, wie er abends von der Arbeit nach Hause kam, seine blank polierten Schuhe auszog und diese Frau küsste, die er von ganzem Herzen liebte. Dann würde er in Socken auf Zehenspitzen in das blaue Zimmer schleichen, seinen schlafenden Sohn auf die Wange küssen und dessen Namen murmeln. Innerlich wäre er vollkommen ruhig, und sein Leben hätte einen Sinn. Wie würde sein Sohn heißen? Würde jener andere Mann den Namen aussuchen? Würde jener andere Mann dieses Leben führen? Frédéric wünschte sich sehnlich, für immer zu bleiben. Dieses »für immer«, das es nicht gab, würde er für sie und für sich erfinden und alles vernichten, was sich zwischen sie und dieses »für immer« stellte. Der Zimtduft stieg ihm wieder in die Nase. Marcia stand vor ihm. Behutsam legte sie zwei kleine Schlüssel in seine Hände. Es waren die Schlüssel zu dem Schloss, das am Pont des Arts hing.
»Wenn du an der Brücke vorbeikommst, kannst du das Schloss abnehmen«, sagte sie leise.
Frédéric schaute sie an und sah in ihren Augen diese neue Entschlossenheit, doch dieses Mal war auch Traurigkeit in ihnen zu lesen. Er nahm die Schlüssel entgegen und spürte die Kälte des Metalls. Es war dieselbe Kälte wie die des schwarzen Asphalts auf der Straße, dieselbe Kälte wie die der Winternächte, dieselbe Kälte wie die der schmutzigen Bank, auf der er ein paar Stunden später mit geballten Fäusten saß.
Eine Minute nach 19 Uhr klingelte Jamel an Dorothées Tür. Er war nervös und hielt einen riesigen Strauß exotischer Blumen in der Hand. Vielleicht hätte er doch einen kleineren nehmen sollen. Er hatte sich wahnsinnig über die SMS von Pétronille gefreut, mit der sie ihn zu dem Fest einlud. Er beruhigte sich damit, dass seine unbändige Freude wie auch der übergroße Blumenstrauß womöglich niemandem auffallen würden. Hinter der Tür vernahm er laute Stimmen und fröhliches Gelächter.
Ein gut gelaunter Mann in den Dreißigern, der ein bisschen wie ein übrig gebliebener Hippie wirkte, riss die Tür auf. Er hatte ebenso lockiges Haar wie Pétronille und schnitt eine Grimasse.
»Hilfe! Ein gigantischer Blumenstrauß hat einen unserer Gäste verschlungen!«
Mit diesen Worten erhob er die Hände in einer komisch klagenden Gebärde und ging wieder davon. Ein kleines Mädchen, das am Ende des Korridors stand, begann zu lachen. »Pétronille, da ist jemand für dich«, rief der Hippie und nahm das kleine Mädchen auf den Arm.
»Nini ist noch mit der Torte beschäftigt. Juuules!«, schrie Dorothée.
Ein anderer Mann, der wiederum wie ein Yuppie aussah, eilte Jamel zu Hilfe und bat ihn herein. Er war größer und dünner und ebenfalls in den Dreißigern.
»Sie müssen Jamel sein. Verzeihen Sie, mein Bruder Ulysse spielt gerne mal den Clown ... Jules.« Er reichte Jamel die Hand.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Es tut mir leid, aber meine Floristin hat einen Blumenstrauß mit einem Amazonasdschungel im Maßstab 1:1 verwechselt. Haben Sie vielleicht eine Badewanne für die Blumen?«
»Die Badewanne ist schon belegt. Sie dient als Garderobe.« Jules lächelte und führte ihn durch die Wohnung. »Kommen Sie ... Was halten Sie davon, wenn wir uns duzen?«
»Das wäre mir lieber. Außerdem spart man Silben.«
»Und heutzutage kann man gar nicht genug sparen«, erwiderte Jules.
Jamel verstand sich auf Anhieb gut mit Jules, doch die vielen fremden Menschen schüchterten ihn ein. Er hatte seinen Mantel in die Badewanne gelegt, in der schon ein ganzer Haufen anderer Kleidungsstücke lag. Jetzt musste er ins Wohnzimmer zurück, in dem fröhliches Chaos herrschte. So wie es aussah, hielten sich dort rund 15 Verwandte von Pétronille auf, die nur darauf warteten, ihn unter die Lupe zu nehmen. Und dabei hatte er Pétronille erst gestern kennengelernt.
»Ich habe gehört, es ist eine Überraschungsparty für eure Eltern?«
»Ihr 40. Hochzeitstag. Ein Teil der Familie ist schon zum Weihnachtsfest angereist, und da dachten wir uns ...Na ja, wir stimmt nicht ganz. Größtenteils haben Pétronille und Dorothée das Fest organisiert. Wir Männer machen nur das, was man uns sagt, und gehen ansonsten in
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