Und wenn es die Chance deines Lebens ist
Deckung.«
» Unter gar keinen Umständen Eigeninitiative entwickeln«, fügte Ulysse hinzu. »Nicht einmal unter Drohungen.«
»Und wann kommen eure Eltern?«
»Um acht Uhr«, sagte Ulysse. »Mist, in einer knappen Stunde.«
Die beiden Brüder stellten ihm die Familie vor.
Als Erstes Dorothée, die den anderen Anweisungen erteilte und tausend Dinge auf einmal zu erledigen schien. Sie drückte Jamel schnell die Hand, ehe sie wieder in die Küche eilte.
»Falls sie nicht früher kommen! Falls sie nicht früher kommen!«, rief sie.
Das kleine Mädchen hieß Mimi. Sie war die Tochter aus erster Ehe von Silvia, der venezolanischen Verlobten von Ulysse. Silvia versuchte zu verstehen, was Mamie (die Großmutter mütterlicherseits) zu ihr sagte, die zwar kaum noch gehen, dafür aber wie ein Wasserfall reden konnte. Papy (der Großvater mütterlicherseits) war ebenfalls in einen Sessel gesetzt worden und erteilte Georges (Papas bestem Freund) Anweisungen. Dieser schob den Christbaum ein Stück zur Seite, um Platz für die Stühle zu schaffen, die Michel und Dominique (Bruder und Schwägerin ihrer Mutter) brachten. Romain (Dorothées Mann), der seine Frau ebenso inständig wie vergeblich gebeten hatte, sich nicht zu überanstrengen, zog sich schließlich unter demVorwand, den Klang der musikalischen Untermalung an seinem Computer richtig einstellen zu müssen, resigniert ins Arbeitszimmer zurück. An einem Ende des großen, hübsch gedeckten Tisches, der sich über die ganze Länge des Wohnzimmers erstreckte, legte Nana (die verwitwete Großmutter väterlicherseits) bestickte Servietten neben die Gedecke. Ihre hohe Stimme hallte durch den Raum, als sie sich dabei mit Kathy (Mamas bester Freundin und Georges’ Ehefrau) unterhielt. Diese wusste nicht, wohin sie die kleinen Schälchen mit den Snacks stellen sollte, die zum Aperitif gereicht wurden.
Die Küche war im Augenblick absolutes Sperrgebiet. Dorothée half Pétronille bei der Fertigstellung ihrer Hochzeitstorte aus 80 Windbeuteln mit dreierlei verschiedenen Füllungen, die mit Krokant zusammengeklebt wurden.
»Pétronille hat mir erzählt, dass du ... hm ... beruflich mit Schatzkarten zu tun hast«, sagte Jules zu Jamel. »Ein eher seltener Beruf.«
»Ja, stimmt, man könnte sagen, ich habe eine Marktlücke entdeckt«, entgegnete er lächelnd.
Die beiden Brüder bestanden darauf, mehr darüber zu erfahren. Jamel erzählte von seiner Ausbildung zum Krankenpfleger, von seinem Interesse an der persönlichen Entwicklung der Patienten und den Kursen, die er im Krankenhaus gab. Mamie spitzte die Ohren, denn mit Krankenhäusern kannte sie sich aus. Jamel erklärte, dass an seinen Kursen Jugendliche wie auch ältere Patienten teilnahmen und dass er in seiner jungen Karriere schon Hunderte von Schatzkarten gesehen habe. Es sei ein Privileg, wenn die Patienten ihn in ihre Träume vom großenGlück einweihten. Er liebe seine Arbeit, weil er noch nie zwei Schatzkarten gesehen habe, die einander glichen.
»Und das funktioniert? Gibt es ein Happy End bei diesen Schatzkarten, oder ist das reiner Zeitvertreib?«, fragte Jules.
»Es funktioniert«, erwiderte Jamel.
»Und was ist das Geheimnis?«, fragte Silvia.
»Man muss daran glauben. Das ist alles«, erklärte Jamel ihr.
»Dorothée!«, brüllte Ulysse. »Jamel bekommt keine Snacks zum Aperitif, bevor er uns nicht die volle Wahrheit erzählt hat. Wir wollen das wahre Geheimnis erfahren.«
Jamel war sich darüber im Klaren, dass ihm der Großteil der Familie zuhörte.
»Okay, angesichts der Drohung, keine Snacks zu bekommen, verrate ich euch das Geheimnis ... Die wissenschaftliche Erklärung lautet, dass uns bei jeder Entscheidung, die wir bewusst oder unbewusst treffen, ungeachtet von Alter, Rasse oder Sozialversicherungsnummer, unsere Suche nach dem Glück leitet. Was Glück auf der untersten Ebene ausmacht, ist schnell erklärt: ein Dach über dem Kopf, genug zu essen für uns und unsere Familie und Schutz vor den Angriffen der Nachbarn. Nun gehören wir aber zu den Privilegierten der Welt und haben all das. Und da wird es schon schwieriger. Wir suchen noch immer nach dem Glück und wollen es um jeden Preis, aber letztendlich wissen wir gar nicht, wie Glück aussieht. Also machen wir es so, wie es alle machen. Wir suchen einen lukrativen Job, ein großes Haus und ein schönes Auto. Da das alle Leute anstreben, wird es schon richtig sein. JedenMonat begeben wir uns zurück auf Los, ziehen unsere 200 ein und drehen
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