Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
mal kurz», sage ich höflich zu Angela, als wollte ich mir nur eben die Nase pudern gehen. Aber ich sehe rot. Ich will jetzt unbedingt da rübergehen und Kay Patterson auf ihr niedliches, in die Luft gerecktes Näschen boxen, und das aus mehreren Gründen, wobei die Tatsache, dass sie sich meinen kleinen Bruder für ihr verdrehtes Spiel ausgesucht hat – und meinem kleinen Bruder sollte lieber niemand zu nah kommen –, noch die unwichtigste ist.
«Warte.» Angela packt mich fest am Arm. «Beruhige dich, C. Jeffrey ist ein großer Junge. Der kann selbst auf sich aufpassen.»
Jeffrey sieht aus, als ob er gleich seinen Adamsapfel verschluckt.
«Wo ist Christian?», krächzt er.
«Ich habe keine Ahnung, wo Christian ist», schnurrt Kay, als interessierte sie das kein bisschen. «Du etwa?»
Ich reiße meinen Blick von der nuttigen Kay-Version los. Christian ist mit Essen fertig und stellt alles auf sein Tablett. Er steht auf und geht zur Tablettablage rüber, dreht sich um und sieht mit einem Blick tiefster Verachtung in Kays Richtung, dann geht er zur Tür.
Das macht er richtig, denke ich, als er die Tür aufstößt. Geräuschvoll fällt sie hinter ihm zu. Ich sehe ihn durch die Scheibe in der Tür den Korridor zum Hauptausgang entlangschreiten, und hinter ihm qualmt seine Wut wie Rauchschwaden in der Luft. Dann ist er verschwunden.
«Das ist deine Chance», flüstert Angela. «Geh ihm hinterher.»
Ich könnte was zu ihm sagen. Aber was?
«Er will jetzt allein sein», sage ich zu Angela. «Wärst du das in so einem Moment nicht auch gern?»
«Feigling», sagt sie.
Ich funkele sie an. «Sag. Niemals. Wieder. Feigling. Zu. Mir», zische ich plötzlich so wütend, dass es mir große Mühe macht, die Worte durch die zusammengepressten Zähne hervorzustoßen.
Ich schüttele Angela ab und gehe durch die Cafeteria auf Kay zu. Ich tippe ihr auf die Schulter.
«Hör mal», sage ich. «Was glaubst du, was du da machst?»
Kay schaut auf, in ihrem Blick liegt etwas Berechnendes. Sie lächelt.
«Hast du ein Problem, Pippi?»
Pippi. Wie Pippi Langstrumpf. Gelächter überall im Raum. Aber Mama hatte recht. Das bringt mich nicht aus der Fassung. Das habe ich nämlich schon mal gehört.
«Oh. Wie originell. Und jetzt runter von meinem Bruder, und zwar schnell!»
Jemand packt mich am Arm und drückt ganz sanft. Ich drehe mich um und sehe Wendy neben mir stehen.
«Das passt gar nicht zu dir, Kay», sagt Wendy.
Und das stimmt. So gern ich Kay auch als das personifizierte Böse sehen möchte, so sehr ich diese kleine Zurschaustellung als ihre endlich zum Vorschein gekommene Natur deuten würde – das passt wirklich nicht zu Kay. Das ist eine derart offenkundige, erbärmliche Fassade. Es hat etwas von einem verwundeten Tier, das um sich beißt. Die Sache so zu sehen schwächt meinen Wunsch, ihr eine zu scheuern.
«Ich weiß, du bist verärgert, Kay, aber …», setze ich an.
«Gar nichts weißt du.» Sie lockert ihre Tintenfischumklammerung von Jeffrey und funkelt mich aus wütenden schokoladenbraunen Augen an. Jeffreys Augen sagen etwas ganz anderes: Lass das. Du bringst mich in Verlegenheit. Geh weg.
«Christian ist gegangen», fahre ich fort. «Er ist weg. Wieso musst du also noch an dem Freund einer anderen herumsabbern? Willst du uns den Appetit verderben, oder was?»
Wenn Kay verlegen oder verunsichert ist, dann höchstens für eine Millisekunde. Sie dreht sich zu Jeffrey um.
«Hast du tatsächlich eine Freundin?», fragt sie zuckersüß.
Er schaut Kay an mit ihren gefährlich schwarz umrandeten Augen, dann schießt sein Blick zu Kimber, die gerade in der Pizzaschlange stand, als das alles losging. Sie erinnert mich an die zarte Elfe auf der Schokoladenreklame von Keebler, das weißblonde Haar ist zu Zöpfen geflochten und um den Kopf gelegt wie bei dem Mädchen auf der Kakaowerbung von Swiss Miss. Allerdings sieht sie extrem geladen aus. Ihr Gesicht ist bleich, zwei glühend rote Flecken malen sich auf ihren Wangen ab, und ihre Augen sprühen Funken.
Ich denke, Kay wird ihre Abreibung kriegen.
«Ja», sagt Jeffrey, und seine Mundwinkel ziehen sich zur Andeutung eines Lächelns hoch. «Kimber Lane. Sie ist meine Freundin.»
Den Blicken, die daraufhin zwischen Jeffrey und Kimber hin und her gehen, fehlt nur noch ein wenig schmalzige Musik im Hintergrund. Au, denke ich. Der kleine Bruder ist verliebt. Was ich gleichzeitig ziemlich krass finde.
«Na schön dann», sagt Kay mit erzwungener Leichtigkeit.
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