Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
steckt den Kopf rein. Sofort wird Wendy rot bis zu den Haarwurzeln und will zur Kleiderschranktür, aber meine Mutter kommt rein und mustert sie bewundernd.
«Was? Eine Anprobe! Und wieso bin ich nicht dazu eingeladen worden?», ruft sie.
«Abschlussball. Nächsten Samstag. Hab ich dir doch erzählt, weißt du nicht mehr?»
«O ja», sagt sie. «Und du willst nicht hin.» Sie klingt enttäuscht.
«Wolltest du was, Mama?»
«Ja, ich wollte dich daran erinnern, dass wir zwei heute Abend zu unseren Yogaübungen verabredet sind.»
Ich brauche einen Moment, dann verstehe ich. Und zucke fast ein bisschen zusammen.
«Könnten wir das nicht ein andermal machen? Ich hab im Moment viel zu tun mit …»
«Ich weiß, ihr Mädchen habt viel Spaß zusammen, aber ich muss dich zu einem kleinen Mutter-Tochter-Zusammensein entführen.»
«Ich muss sowieso los», sagt Wendy leise. «Ich muss diese Hausarbeit noch fertig machen.»
«Du siehst wunderschön aus, Wendy», sagt Mama und strahlt sie an. «Wie sieht es denn mit Schuhen aus?»
«Ich glaube, meine schwarzen Pumps werden gut dazu passen.»
Meine Mutter schüttelt den Kopf. «Keine schwarzen Pumps zu diesem Kleid.»
«Wir wollen morgen nach Jackson und ein Paar Ohrringe suchen», schlage ich vor. «Da könnten wir auch gleich nach Schuhen gucken.»
Voller Unbehagen windet sich Wendy bei dem Vorschlag. Die Schuhgeschäfte in Jackson haben beeindruckende Touristenpreise.
«Oder», sagt Mama, «wir vergessen das mit Jackson und fahren schwerere Geschütze auf. Wie wäre es dieses Wochenende mit einem Ausflug nach Idaho Falls?»
Ich kann nicht sagen, ob sie vorhin gelauscht hat, oder ob sie und ich uns einfach nur auf derselben Wellenlänge bewegen. «Manchmal hab ich den Eindruck, du kannst meine Gedanken lesen», sage ich zu ihr und lächle sie an.
«Wendy hat nicht gerade viel Geld, weißt du», erkläre ich meiner Mutter, als Wendy gegangen ist. Die Sonne versinkt gerade hinter den Bergen. In Tanktop und Jogginghose stehe ich zitternd im Gärtchen hinter dem Haus und versuche, mir einen Wollschal um den Hals zu binden. «Also wenn wir nach Idaho Falls fahren und nach Schuhen gucken wollen, schlepp uns bitte nicht in irgendein schickes Kaufhaus. Das wird sie in Verlegenheit bringen.»
«Ich hatte eher an Payless Shoes gedacht», sagt Mama folgsam. «Ich fände es schön, wenn wir Mädels mal wieder etwas zusammen unternehmen. Das haben wir nicht allzu oft gemacht, seit wir hierhergezogen sind.»
«Na gut.»
«Vielleicht mag Angela ja auch mitkommen. Hat sie eine Verabredung für den Abschlussball?»
Ich lasse den Schal Schal sein und starre sie an. «Ja. Hat sie.»
«Dann kann sie doch mitkommen.»
«Wieso?»
«Ich möchte wissen, mit wem du befreundet bist, Clara. Wendy bringst du so oft mit her, aber Angela nie. Also würde ich sie gern kennenlernen. Ich finde, es ist an der Zeit.»
«Ja, aber …»
«Ich weiß, du hast da so deine Bedenken, aber das solltest du nicht», sagt sie. «Ich werde mich schon benehmen.»
Wegen Mama mache ich mir eigentlich keine Sorgen. Oder vielleicht doch? «Na gut, ich kann sie ja mal fragen.»
«Toll. Nimm den Schal ab», sagt Mama.
«Es ist eisig kalt!»
«Du könntest dich damit strangulieren.»
Da hat sie recht. Ich verzichte auf den Schal.
«Müssen wir das mit dem Fliegen jetzt unbedingt machen? Ich muss mich noch auf den Aerodynamikkurs morgen vorbereiten, weißt du. In dem Fach bin ich übrigens ein Ass.»
«Da geht es um Flugzeuge. Das hier hat mit dir zu tun. Du musst unbedingt trainieren, Clara. Ich hab dir den ganzen Winter Zeit gelassen, dich einzugewöhnen. Jetzt musst du dich auf deine Aufgabe konzentrieren, damit du bereit bist, wenn die Zeit der Waldbrände kommt. Es sind nur noch ein paar Monate.»
«Ich weiß», sage ich niedergeschlagen.
«Also dann, bitte.»
«Na gut.»
Ich entfalte meine Flügel hinter mir. Es ist eine Weile her, dass ich sie hervorgeholt habe. Immerhin fällt es mir jetzt leichter, sie zum Vorschein zu bringen; es ist nicht mehr nötig, dass ich die Worte auf Engellisch sage. Ich finde meine Flügel immer noch wunderschön-weich und weiß und vollkommen wie die einer Eule. Aber im Moment kommen sie mir riesig und albern vor, wie ein kitschiges Requisit in einem schlechten Film.
«Gut, breite sie aus», sagt Mama.
Ich breite sie so weit wie möglich aus, bis ihr Gewicht an meinen Schultern zu zerren beginnt.
«Um vom Boden loszukommen, musst du dich leichter
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