Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
sieht.
«Amüsierst du dich?», brüllt er.
«Ich brauche deine Hilfe», brülle ich.
«Was?», brüllt er.
Schließlich nehme ich ihn bei der Hand, ziehe ihn zu Amy und deute auf ihren Knöchel, der allmählich anschwillt. Ein paar Minuten kniet er neben ihr, hält behutsam ihren Knöchel in den Händen. Es stellt sich heraus, dass er einen Einführungskurs absolviert hat, der aufs Medizinstudium vorbereitet.
«Wahrscheinlich verstaucht», diagnostiziert er. «Ich rufe jemanden, der dich zu deinem Wohnheim zurückfährt. Dann legen wir das Bein hoch und kühlen mit etwas Eis. Morgen früh solltest du gleich zum Vaden gehen – dem Campus-Hospital –, die röntgen das dann. Bleib einfach ganz ruhig hier sitzen, ja?»
Er geht und sucht sich einen ruhigeren Platz, an dem er sein Telefon benutzen kann. Die Kapelle ist mit ihrem Lied fertig, marschiert weiter und führt die Menge mit donnernden Schritten von uns weg. Endlich kann ich mich wieder denken hören.
Amy fängt an zu weinen.
«Es tut mir so leid», sage ich und setze mich neben sie.
«So schlimm sind die Schmerzen gar nicht», schnieft sie und wischt sich die Nase. «Ich meine, es tut schon weh … ziemlich sogar, aber deshalb weine ich nicht. Ich weine wegen meiner Blödheit; ich trage nämlich Flip-Flops, obwohl man uns gesagt hat, wir sollen feste Schuhe anziehen. Und dabei ist das gerade mal die allererste Woche. Die Kurse haben noch gar nicht angefangen, und ich werde schon an Krücken herumtapsen, und alle werden mich als den dämlichen Trampel bezeichnen, der zu dumm ist zu laufen.»
«Keiner wird deshalb schlecht über dich denken. Ehrlich», sage ich. «Ich wette, heute Nacht passieren eine Menge Unfälle. Das hier ist doch alles völlig verrückt.»
Sie schüttelt den Kopf, und zerzauste blonde Locken wirbeln herum und fallen ihr auf die Schultern. Ihre Unterlippe zittert. «Ich wollte aber nicht, dass alles so anfängt», stößt sie hervor und schlägt die Hände vors Gesicht.
Ich sehe mich um. Die Menge ist so weit weg, dass wir sie kaum noch hören. Pierce steht mit dem Rücken zu uns neben dem Gebäude und spricht in sein Handy. Es ist dunkel. Sonst ist kein Mensch in der Nähe.
Sacht lege ich die Hand auf Amys Knöchel. Sie verspannt sich, als ob sogar diese leichte Berührung ihr Schmerzen verursacht, aber den Kopf hebt sie nicht. Mein Einfühlungsvermögen lässt mich die Schmerzen in ihr spüren, nicht nur den Kummer darüber, sich lächerlich gemacht zu haben, sondern auch den körperlichen Schmerz dort, wo die Bänder gerissen sind. Es ist eine schwere Verletzung, das ist mir sofort klar. Sie könnte das ganze Semester auf Krücken angewiesen sein.
Ich könnte ihr helfen, denke ich.
Ich habe bereits Menschen geheilt. Meine Mutter, nachdem sie von Samjeeza angegriffen wurde. Tucker nach dem Autounfall vergangenes Jahr auf dem Rückweg vom Abschlussball. Aber damals konnte ich die gesamte Kraft des himmlischen Glanzes nutzen, das volle Programm – Licht, das meinem Haar entströmte, und meinen wie eine Laterne leuchtenden Körper. Ich überlege, ob es eine Möglichkeit gibt, den Glanz auf … sagen wir, auf meine Hände zu beschränken, ihn so schnell zu kanalisieren, dass keiner etwas merkt.
Ich verbanne jeglichen Gedanken aus meinem Kopf und bin dankbar für die mich inzwischen umgebende Ruhe, dann fokussiere ich meine Kraft auf meine rechte Hand. Nur die Finger, denke ich. Alles, was ich brauche, ist der himmlische Glanz in meinen Fingern. Nur dieses eine Mal. Ich konzentriere mich so intensiv darauf, dass sich an meinem Haaransatz Schweißperlen bilden und auf den Betonboden tropfen. Kurz darauf fangen tatsächlich meine Fingerspitzen an zu glühen, ganz schwach zuerst, dann heller. Ich lege meine Hand um Amys Knöchel. Dann schicke ich den Glanz aus mir heraus wie ein Rinnsal von Licht, das von mir in sie hineinfließt, nicht zu viel und auch nicht zu schnell, aber hoffentlich genug, um etwas Gutes zu bewirken.
Amy seufzt, dann hört sie auf zu weinen. Ich setze mich auf, beobachte sie. Ich kann nicht sagen, ob das, was ich gemacht habe, ihr überhaupt geholfen hat.
Pierce kommt zurück, wirft Amy einen entschuldigenden Blick zu. «Ich kann keinen auftreiben, der dich holen kommt. Ich muss laufen und meinen Wagen holen, aber ich habe am anderen Ende des Campus geparkt, es wird also eine Weile dauern. Wie geht es dir jetzt?»
«Besser», antwortet sie. «Es tut schon nicht mehr so weh wie vorhin.»
Er kniet sich
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