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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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die langen Finger, erst einen, dann den nächsten und den nächsten.
     
    »Ich komme wieder«, sagte sie.
     

    Audio: Die Schlange (02:50)

Kapitel 2
    N achdem sie geschwommen waren, legten sich Mann und Frau in die Sonne und dösten eine Weile vor sich hin. Was Adam wohl denkt?, fragte sich Eva. Was Eva wohl denkt?, fragte sich Adam.
    Einer vermochte die Gedanken des anderen nicht zu erraten. Als sie so auf der Wiese ruhten, beobachteten sie die Ameisen beim Nestbau, wie sie in Marschformation einzelne Blättchen auf dem Rücken zum Erdloch schleppten, wo sie Unterschlupf fanden. Das leuchtende Grün rundherum war hier und da unterbrochen von üppig blühenden bunten Sträuchern und Zweigen. Die beiden Flüsse, die den Garten durchquerten, gabelten sich in vier Nebenläufe. Adam und Eva befanden sich am Ufer des ruhigsten Armes, der sich durch einen Abhang aus riesigen, glatten graugrünen Felsblöcken grub. Diese sorgten dafür, dass sich der Fluss brach, staute und in der Vegetation aus Koniferen und einem weichen Teppich aus Farnen mit gezähnten Blättern fröhlich dahinplätscherte.
    Eva sog den Pflanzenduft ein und spürte, wie die warme Brise leicht und wohltuend über sie hinwegstrich und ihr den Leib trocknete. Auch Adam genoss den Wind auf der Haut, die schweren Düfte des Gartens, das lärmende Spiel der großen schwarzen Bärin am anderen Ufer, während über seinem Kopf das Laub an den Bäumen flüsterte. Auf einem niedrigen Zweig putzte sich ein Kanarienvogel Federn und Schnabel. Von Zeit zu Zeit löste sich ein hohes Trällern aus seiner Kehle, wie die Essenz sämtlicher Laute im Umkreis.
     
    Was mochte die Schlange damit gemeint haben, als sie bemerkte, die »Geschichte« würde erst anfangen, wenn sie von ihrer Freiheit Gebrauch machten? Und wieso hatte sie behauptet, sie sei auf ihre Wahlfreiheit neidisch? Eva verstand nicht, warum sie einerseits gesagt hatte, sie dürften nicht vom Baum der Erkenntnis essen, und sie andererseits dazu ermuntert hatte. Was für ein Verhältnis sie wohl zum Anderen hatte? Was für ein Wissen war es, das der Andere ihnen fürchtete zu vermitteln? Es gelang Eva nicht, all diese Rätsel zu lösen. Vor allem verstand sie nicht, was dieser Elohim davon hatte, sie in solche Aufregung zu versetzen. Wozu hatte er sie von der Existenz des Baumes in der Mitte des Gartens wissen lassen und ihr den Weg dorthin in den Leib geschrieben? Adam wäre ohne sie jedenfalls nicht hingegangen, so viel stand fest. Er hatte erzählt, dass er die beiden Bäume noch nie gesehen habe. Er bewunderte ihre Neugier, die Intuition, mit der sie dorthin gelangt war.
    Sie betrachtete den Mann neben sich in der Wiese mit dem Arm über den Augen. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Er war groß, von hohem, geradem Wuchs, ohne Rundungen. Nur das Relief seiner Muskeln ließ sich mit den Kurven vergleichen, die ihre Körper bestimmten.
    Sie fragte sich, ob Elohim ihn aus einer Gesteinsplatte geformt und sie kleiner und weicher gemacht hatte, um dem Mann nicht weh zu tun, wenn er sie aus seinem Leib zog. Hatte er bei ihrer Erschaffung vielleicht gerade an eine Frucht oder an einen Hügel gedacht? Das hätte sie gerne gewusst.
     
    Adam stellte fest, dass er fast hören konnte, was ihr durch den Sinn ging. Wie konnte er es schaffen, sie vom Baum fernzuhalten? Fügsamkeit lag nicht in ihrer Natur. Ihre beste Gabe war die Unfähigkeit stillzusitzen und diese spontane Lebendigkeit, mit der sie von Anfang an alles angeschaut und hinterfragt hatte.
     
    Es regnete. Mit dem Regen fielen die weißen Blütenblätter zur Erde, von denen sie sich ernährten. Er zeigte ihr, wie man ein Blatt von der Bananenstaude pflückte und so lange auf der flachen Hand hielt, bis es voll war mit Blütenblättern. Nach dem Regen erschien der Regenbogen. Wie eine Brücke zwischen Himmel und Erde, sagte Adam, doch habe er noch niemanden hinübergehen sehen.
     
    »Warum hat die Kreatur im Baum, die sich Schlange nennt, Elohim gesehen und wir nicht?«, wollte Eva wissen.
    »Sonderbar, dass sie sich selbst einen Namen gibt«, bemerkte Adam nachdenklich.
    »Kann es vielleicht sein, dass sie selbst Elohim ist?«
    Adam warf ihr einen erstaunten Blick zu. Wie kam sie denn darauf?
    »Warum nicht? Sie scheint alles zu wissen, was der Andere denkt«, erklärte Eva.
    »Vielleicht ist sie seine Spiegelung.«
    »Sie hat aber gesagt, dass wir Elohims Spiegelbild sind.«
    »So wie der Baum der Erkenntnis die Spiegelung des

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