Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Bahn machte einen Bogen um den Rostgürtel – einen Schuttring, der erst seit der Seuche entstanden war. Es war gebaut wie ein Rad, einer der häufigsten Karussellgrundrisse, und hatte einen Durchmesser von zehn Kilometern und eine Dicke von elfhundert Metern. Alle menschlichen Aktivitäten spielten sich auf der dreißig Kilometer langen Außenfelge ab, die Platz bot für einige kleinere Städte, etliche Dörfer und verschiedene Landschaften im Kleinformat. Man hatte sogar Wälder angelegt und in die schräg nach oben strebenden Seiten der Felge azurblaue, schneebedeckte Berge eingeschnitten, um den Anschein von Weite zu erwecken. Einen halben Kilometer über der Felge wölbte sich ein durchsichtiges Dach über den konkaven Teil des Rades. Es war kreuz und quer von Metallschienen durchzogen, auf denen dicke, computergesteuerte Kunstwolken ihre Bahnen zogen. Die Wolken simulierten nicht nur Planetenwetter, sie milderten auch die manchmal erschreckend starke Krümmung dieser Welt. Volyova hielt sie für realistisch, ohne sich dessen ganz sicher sein zu können. Sie hatte mit eigenen Augen noch nie echte Wolken gesehen, jedenfalls nicht von unten. Sie hatten den Fahrstuhl verlassen und standen nun über der größten Siedlung des Karussells. Dicht zusammengedrängt ragten zahlreiche Gebäude zwischen den terrassierten Talhängen empor. Rimtown, Randstadt, nannte sich der Ort. Ein unschönes Durcheinander verschiedenster Stilrichtungen zeugte davon, wie viele unterschiedliche Bewohner das Karussell im Lauf seiner Geschichte schon beherbergt hatte. Auf der untersten Etage wartete eine Reihe von Rikschas. Der Fahrer der ersten trank Bananensaft aus einer Dose, die in einem Halter an der Lenkstange steckte. Hegazi reichte ihm ein Stück Papier mit dem Fahrtziel. Der Fahrer hielt sich das Blatt dicht vor die schwarzen, eng beieinanderstehenden Augen und nahm den Auftrag brummend an. Bald waren sie mitten im Verkehrsgewühl. Kraftfahrzeuge und pedalgetriebene Vehikel kamen von allen Seiten, Fußgänger stürzten sich todesmutig in jede Lücke des scheinbar ziellosen Stroms. Mindestens die Hälfte der Passanten waren Ultranauten, erkennbar an ihrer Blässe, dem schmächtigen Körperbau und den stolz zur Schau getragenen künstlichen Körperteilen. Schwarze Lederbandagen und Unmengen an blitzendem Schmuck, Tätowierungen und Handelstrophäen ergänzten das Bild. Volyova sah keine extremen Chimären. Hegazi war vielleicht eine Ausnahme, er gehörte wohl zu den fünf am höchsten aufgerüsteten Menschen im ganzen Karussell. Aber die Mehrheit trug das Haar nach herkömmlicher Ultramanier zu dicken Zöpfen geflochten, die die Zahl der absolvierten Kälteschlafperioden anzeigten, und viele hatten sich die Kleider aufgeschlitzt, um ihre Prothesen zu zeigen. Wenn Volyova sich diese Exemplare ansah, konnte sie kaum glauben, derselben Kultur anzugehören.
    Natürlich waren die Ultras nicht die einzigen Raumfahrer, die die Menschheit hervorgebracht hatte. Zumindest hier bildeten die Raumpiraten einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. Obwohl auch sie das Weltall bereisten, fuhren sie nicht auf interstellaren Schiffen und hatten daher eine ganz andere Einstellung als die gespenstergleichen Ultras mit ihren Dreadlocks und ihrer altmodischen Sprache. Und auch damit nicht genug. Die Eisreiter waren ein Ableger der Raumpiraten, psychisch angepasst an die extreme Einsamkeit in den Kuiper-Gürteln. Sie blieben mit leidenschaftlicher Verbissenheit unter sich. Die Kiemer waren an das Leben im Wasser angepasste Menschen, die flüssige Luft atmeten. Sie eigneten sich als Besatzung für Kurzstreckenschiffe mit hoher Beschleunigung und stellten einen großen Teil der Polizei des Systems. Einige Kiemer waren nicht mehr fähig, unter normalen Bedingungen zu atmen und sich zu bewegen. Sie waren außer Dienst in großen, selbststeuernden Aquarien untergebracht.
    Und schließlich waren da noch die Synthetiker: Abkömmlinge einer Gruppe von Experimentatoren auf dem Mars, die ihren Verstand systematisch immer weiter entwickelt und so lange Zellen gegen Maschinen ausgetauscht hatten, bis es zu einer jähen, drastischen Wandlung kam. Sie hatten sich mit einem einzigen Schritt zu einer neuen Bewusstseinsebene – dem so genannten Transrationalismus – emporgeschwungen und dabei einen kurzen, aber brutalen Krieg heraufbeschworen. Die Synthetiker waren in jeder Menge leicht zu erkennen: vor kurzem hatten sie sich mit biotechnischen Verfahren wunderschöne

Weitere Kostenlose Bücher