Ungeduld des Herzens.
weg und stapft ohne Gruß der Treppe zu, breit wuchtet sein feister Rücken im Mond. Aber da faßt mich Zorn, daß das letzteWort, das ich im Leben hörte, eine Beschimpfung gewesen sein soll; zu meiner eigenen Überraschung geschieht etwas, völlig unbewußt, gleichsam nur aus meinem Körper heraus – ich mache ein paar hastige Schritte und eile ihm nach. Ich weiß, daß, was ich tat, eigentlich völlig widersinnig war; wozu eine Stunde vor der allerletzten irgend einem Hartschädel noch etwas erklären oder berichtigen wollen? Aber diese absurde Inkonsequenz haftet ja allen Selbstmördern an, daß sie noch zehn Minuten, ehe sie entstellte Kadaver sein werden, der Eitelkeit nachgeben, unbedingt sauber aus dem Leben zu gehen (aus dem Leben, das sie allein nicht mehr mitleben werden), daß sie sich rasieren (für wen?) und reine Wäsche anziehen (für wen?), ehe sie sich eine Kugel durch den Kopf schießen, ja, ich erinnere mich, sogar von einer Frau gehört zu haben, die sich schminkte und bei der Friseurin die Haare ondulieren und mit dem teuersten Coty parfümieren ließ, ehe sie sich hinabwarf vom vierten Stock. Nur dieses logisch völlig unerklärbare Gefühl riß mir die Muskeln auf, und wenn ich dem Obersten jetzt nacheilte, so geschah dies keineswegs – ich muß es betonen – aus Todesangst, oder plötzlicher Feigheit, sondern einzig aus dem absurden Reinlichkeitsinstinkt, nicht unordentlich, nicht beschmutzt ins Nichts zu verschwinden.
Der Oberst mußte meine Schritte gehört haben. Denn brüsk wandte er sich um, verdutzt starrten die kleinen stechenden Augen unter den buschigen Brauen mich an. Offenbar konnte er die ungeheuerliche Ungehörigkeit gar nicht fassen, daß ein Subalternoffizier ihm ohne Erlaubnis nachzugehen wagte. Ich blieb zwei Schritte vor ihm stehen, fuhr mit der Hand an die Kappe und sagte, dem gefährlichen Blick ruhig standhaltend – meine Stimme muß bleich gewesen sein wie das Mondlicht:
»Bitte gehorsamst, dürfte ich den Herrn Obersten einige Minuten sprechen?«
Die buschigen Brauen spannen sich zum erstaunten Bogen. »Was? Jetzt? Um halber zwei in der Nacht?«
Unwirsch sieht er mich an. Im nächsten Moment wird er mich grob anfahren oder verknallen zum Rapport. Aber etwas muß gewesen sein in meinem Gesicht, das ihn beunruhigte. Eine Minute, zwei Minuten mustern mich die harten stechenden Augen, dann knurrt er:
»Schöne Sachen wer'n das sein! Aber wie du willst. Na – komm herauf zu mir und mach schnell!«
Dieser Oberst Svetozar Bubencic, hinter dem ich jetzt wie ein hingeschlagener Schatten durch die matt von Petroleumlampen erhellten, dumpf leeren und doch vom Dunst vieler Menschen gesättigten Gänge und Treppen schritt, war ein hundertgrädiger Troupier und der gefürchtetste unter unseren Vorgesetzten. Kurzbeinig, kurzhalsig, kurzstirnig, verbarg er unter den struppigen Brauen ein Paar tiefsitzende glimmrige Augen, die selten jemand heiter gesehen. Der stämmige Leib, der schwere, massive Gang verrieten unverkennbar seine bäuerliche Abstammung (er kam aus dem Banat). Aber mit dieser niederen Büffelstirn und seinem eisenharten Schädel hatte er sich langsam und beharrlich bis zum Oberst vorgestoßen. Seiner krassen Unbildung, seiner rüden Sprech- und Schimpfweise und seiner wenig repräsentablen Art wegen schob ihn freilich seit Jahren das Ministerium von einer Provinzgarnison in die andere, und daß er vor den roten Generallampassen noch den blauen Bogen kriegen würde, galt in diesen oberen Regionen soviel wie ausgemacht. Doch unansehnlich und ordinär, wie er war, in der Kaserne und auf dem Exerzierplatz kam ihm keiner gleich. Er kannte den kleinsten Paragraphen des Reglements wie ein schottischer Puritaner die Bibel, und sie bedeuteten für ihn keineswegs elastische Gesetze, die einefeinere Hand zu harmonischem Gefüge verknüpft, sondern fast religiöse Gebote, deren Sinn oder Widersinn ein Soldat nicht zu erörtern hatte. Er lebte im allerhöchsten Dienst wie Gläubige in Gott, er gab sich nicht mit Frauen ab, er rauchte nicht, er spielte nicht, hatte zeitlebens kaum ein Theater oder Konzert besucht und gleich seinem allerhöchsten Kriegsherrn Franz Joseph niemals etwas anderes gelesen als das Dienstreglement und Danzers Armeezeitung; für ihn existierte nichts auf Erden als die kaiserlich und königliche Armee, innerhalb der Armee nur die Kavallerie, innerhalb der Kavallerie nur die Ulanen und unter den Ulanen nur eines, nur sein Regiment. Daß alles bei
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